Problemlösungsprozesse initiieren

Ein Gespräch hat weder Sender noch Empfänger

Falko E. P. Wilms

Das direkte Gespräch hat so gut wie nichts zu tun mit der Grundidee des Sender-Empfänger-Ansatzes, die in der technischen Signalübertragung innerhalb einer Funkfrequenz besteht: In einem direkten Gespräch können Informationen niemals übertragen werden. 

Was ist Kommunikation?

In seinen 1948 veröffentlichte Arbeiten Mathematische Grundlagen in der Informationstheorie[i] sowie Nachrichtenübermittlung unter Berücksichtigung von Rauschsignalen[ii] behandelte Shannon (1916 - 2001) die Frage, wie eine von einem Funksender kodierte Signalfolge so durch einen von Stör- und Rausch­signalen beeinflussten Funkfrequenz übermittelt werden kann, dass am Zielort die gleiche Signalfolge wiederhergestellt werden kann. Bereits diese wenigen Ausführungen zeigen, dass es Shannon keinesfalls um zwischenmenschliche Gespräche ging.

Der Sender-Empfänger-Ansatz

Shannon übertrug trotzdem seine Ideen zusammen mit dem Vater der maschinellen Übersetzung Warren Weaver (1894 - 1978) auf Kommunikationsprozesse von Menschen. So entstand das bis heute bekannte Sender-Empfänger-Modell[iii]. Shannon / Weaver beschreiben die zwischenmenschliche Kommunikation als eine Übertragung einer Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger. Die Nachricht wird kodiert und als Signal über einen störungsanfälligen Übertragungskanal übermittelt und dann wieder dekodiert. Abb. 1 oben zeigt das Gemeinte.

Voraussetzung für jede zwischenmenschliche Kom­munikation ist demnach, dass Sender und Empfänger im Kommunikationsprozess denselben Code ken­nen und fehlerfrei anwenden, damit Kodierung und Dekodierung der Signalfolge identisch ist. Und genau das ist bei der zwischenmenschlichen Kommunikation nicht möglich! Warum?

Erstens ist eine Information keinesfalls eine Einheit, die eine mitteilende Person während eines Gesprächs im Gehirn erdenkt, in Sprache kodiert und in Elemente einer begrenzten, eineindeutig bestimmten Menge an Lauten transformiert und dann im Gehirn des Adressaten anhand desselben Codes von den beobachteten Lauten fehlerfrei eineindeutig in die ursprünglich erdachte Informationseinheit dekodiert wird!

Zweitens ist die Unterteilung in Sender einerseits und Empfänger andererseits in einem Gespräch irreführend, denn der Sprechende muss sich selber hören können (um die Lautstärke und Sprechdeutlichkeit zu steuern); er ist somit zugleich Sender und Empfänger.

Drittens ist eine Information etwas grundlegend anderes als ein Paket mit einem objektiv messbaren Inhalt, das von Gehirn zu Gehirn transportiert wird wie ein Postpaket und vom Empfänger lediglich richtig auszupacken ist, um den Inhalt korrekt beobachten zu können!

Viertens ist bei der technischen Signalüber­tragung die Menge an Möglichkeiten an Signalen und Übertragungsformen eindeutig definiert, in der zwischenmenschlichen Kommunikation hingegen ist die Menge der Möglichkeiten unbestimmt[iv]. Sie müsste zuerst untereinander abgestimmt werden, wozu allerdings ein einheitliches, abgestimmtes Vorgehen nötig wäre!

Fünftens müsste der Code, den die mitteilende Person und der Adressat der Mitteilung im Kommunikationsprozess anzuwenden haben, zuerst einmal ausgehandelt werden. Dazu müsste ein Verstehen ohne eine Einigung auf denselben Code gelingen, was per Definitionem und rein logisch unmöglich ist!

folko wilms 2013-bild01 Abb. 1: Zwischenmenschliche Kommunikation

Eine Alternative

Der Transfer der technischen Signalübertragung in einem Funkfrequenzbereich mit demselben Code bei Sender und Empfänger auf den Anwendungsfall des zwischenmenschlichen Gespräches, ist mit derartig deutlichen Mängeln behaftet, dass man sich über die Langlebigkeit der Verwendung des Sender-Emp­fänger-Ansatzes in der Beratung nur wundern kann.

Bei der Suche nach einem in und für Beratungssituationen hilfreichen Modell ist grundlegend von den folgenden Thesen auszugehen:

In direkten zwischen-menschlichen Gesprächen…

…      wird alles Gesagte von[v] einem Beobachter zu[vi] einem anderen Beobachter gesagt.

…      ist die Beobachtung von Mitteilungs-Handlungen (und deren Folgen) eine kognitive Eigenleistung des Beobachters; diese durch Übung geprägte Eigenleistung bestimmt, welche Handlung für den Beobachter eine Informationen ist und welche nicht.

…      verweist jedes Beobachtungsergebnis eines Gesprächspartners mehr auf die Art der Beobachtung als auf das Ergebnis der Beobachtung.[vii]

…      geht es um etwas grundsätzlich Anderes als eine Übertragung von objektiv messbaren Informa­tions-Einheiten zwischen den Gehirnen der beteiligten Gesprächspartner.

…      dienen sprachliche, gestische, symbolische, auf jeden Fall aber beobachtbare Mitteilungs-Hand­lungen des Mitteilenden dazu, beim Adressaten mentale Irritationen auszulösen und dadurch neuartige Gedanken zu ermöglichen.

…      passiert die erlebte Wirklichkeit nicht zwischen den einzelnen Gesprächspartnern, sondern in den (Köpfen) der einzelnen Gesprächspartner aufgrund von eigenen Beobachtungen bzw. eigenen kognitiven Leistungen.

…      ist die Beobachtung und die Anwendung von Sprache, Mimik und Gestik ein Vehikel zur strukturellen Kopplung der kognitiven (Eigen)Leistung der Beteiligten.

Das Fazit

Menschliche Kommunikationsprozesse bestehen im Kern aus vergänglichen Ereignissen der Beobachtung von Mitteilungen. Und genau hier zeigt sich, warum wir an anderer Stelle[viii] herausgehoben hatten, dass ein respektvolles, achtsames Anerkennen und Bewahren eigener und fremder Grenzen (z. B. der Beobachtung) im Beratungsgespräch so unerhört wichtig ist, ohne sich dem anderen aufzudrängen oder sich von ihm zurückzuziehen. Im Beratungsgespräch ist es wichtig, das Kommen und Gehen von eigenen Gedankengängen, Emotionen und Meinungen zu beobachten, ohne den fließenden Charakter des Gesprächsprozesses zu verleugnen, indem an bestimmten Gedanken, Emotionen oder Meinungen festgehalten oder für sie plädiert wird.

  • Im Beratungsprozess ist es sinnvoll, für den Begriff „Information“ von einer auf sich selbst gestellten Person auszugehen, die ihre inneren Zustände aufgrund vorheriger innerer Zustände verändert und diese von anderen nicht beobachtbaren inneren Veränderungen beobachtet. Abb. 1 unten zeigt das Gemeinte.
  • In einem direkten Gespräch entsteht eine Information dann, wenn für einen Gesprächspartner eine unerwartete Beobachtung zu Erwartungen führt, die sich von den bisherigen Erwartungen bedeutsam unterscheiden. Der sich dann ergebende Unterschied ist für den, der diesen Unterschied beobachtet, eine Information.[ix]

Wird ein Beratungsgespräch unter Beachtung des hier skizzierten alternativen Gedankengangs geführt, dann kommt es nicht weiter auf eine (insbesondere bei der Erteilung von rezeptartigen Ratschlägen wichtige) korrekte Informationsübertragung an. Vielmehr wird die Selbstbeobachtung des Beratenen angeregt und auf Möglichkeiten des eigenen Tuns geachtet. Informationen werden nicht übertragen, sondern neu generiert. Was möglich ist, ist das Anregen zum Selber-Denken und Selber-Handeln, damit sich der Beratene daraufhin selber neue Informationen erarbeiten kann.

Der Autor

Dr. Falko E. P. Wilms arbeitet als Trainer, Berater & Hochschul­lehrer. Er leitet die Studiengruppe für Organisations-Entwicklung an der FH Vorarlberg in Dornbirn, Österreich.

falko.wilms@fhv.at | www.staff.fhv.at/wf


 

[i] Vgl.: Shannon C. L.: A Mathematical Theory of Communication. In: Bell System Technical Journal. Short Hills N.J. 27.1948, (Juli, Oktober), S. 379”“423, 623”“656.
[ii] Vgl.: Shannon, C. E.: Communication in the Presence of Noise. In: Proc. IRE Bd.37, 1949, S.10-21
[iii] Vgl.: Shannon, C. E.:/Weaver, W.: The Mathematical Theory of Communication, Urbana Ill 1949.
[iv] Vgl.: Baecker, D.: Kommunikation , Ditzingen 2005, S. 66
[v] Vgl.: Maturana, H.: Erkennen. Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit, Braunschweig 1982, S. 8.
[vi] Vgl.: Foerster, H. v.: KybernEthik, Berlin 1993, S. 84f.
[vii] Vgl.: Willke, H.: Systemtheorie I: Grundlagen, 5. Aufl., Stuttgart 1996, S. 167 f
[viii] Vgl.: Jancsary, P. M./Wilms, F. E.: Verweilen im Hier und Jetzt. In: TrainerJournal 04/12, S. 23
[ix] Vgl.: Bateson, G.: Steps to an ecology of mind, New York 1972, S. 381

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