TAO – Drei Buchstaben mit großer Wirkung

Ein Gespräch mit dem Dipl.-Pädagogen, Achtsamkeitstrainer und Autor Rüdiger Standhardt aus Königswinter über das vom ihm entwickelte Training Achtsamkeit in Organisationen (TAO). Er praktiziert seit 1979 Meditation, hat seit 1998 über fünfundsechzig Achtsamkeitsausbildungen geleitet, über tausend Menschen in achtsamkeitsbasierten Verfahren ausgebildet und ist Leiter der neuen und einzigartigen TAO-Ausbildung.

Bernd Stummeyer: Wie kam es dazu, dass Sie das Training Achtsamkeit in Organisationen entwickelt haben?

Rüdiger Standhardt: Schon in meiner Yoga-Arbeit fiel mir Ende der 80erJahre auf, dass sich viele Menschen am Tag in ihrem beruflichen Tun verlieren und über ihre Grenzen gehen, um dann am Abend in einem Yogakurs wieder „aufzutanken“. Diese Spaltung - hier die angespannte Arbeit und dort die entspannte Yogapraxis – wollte ich überwinden helfen und so initiierte ich 2005 ein Projekt mit der Oberfinanzdirektion Frankfurt zum Thema „Achtsame Entspannung am Arbeitsplatz“. In allen 36 hessischen Finanzämtern wurden mehrere Multiplikator:innen in Progressiver Muskelentspannung ausgebildet. Diese Menschen boten nach der Qualifizierungsmaßnahme einmal in der Woche für interessierte Bedienstete achtsame Entspannung während der Arbeitszeit an. In einem zweiten Schritt entwickelte ich auf Basis meines Buches „Timeout statt Burnout. Einübung in die Lebenskunst der Achtsamkeit“ das Training Achtsamkeit am Arbeitsplatz an. In diesem Training zur Persönlichkeitsentwicklung ging es darum, Achtsamkeitspraxis mit verschiedenen Themen (z.B. Dankbarkeit, Selbstverantwortung, Liebe in den beruflichen Alltag bringen) zu verbinden, d.h. die Teilnehmenden praktizieren im Training und am Arbeitsplatz verschiedene Formen einer weltanschaulich-neutralen Achtsamkeitspraxis und erhielten wichtige kognitive Impulse für ein selbstverantwortlicheres Berufsleben. Dieses mehrwöchige Training wurde von über 150 qualifizierten Trainer:innen in verschiedenen Unternehmen, Verwaltungen und sozialen Einrichtungen durchgeführt.

Bernd Stummeyer: Wie kam es dann zur Weiterentwicklung von TAO?

Rüdiger Standhardt: Durch die bisherige Arbeit haben viele Menschen einen ersten Zugang zur lebensverändernden Praxis der Achtsamkeit gewonnen und obwohl das Training sehr erfolgreich war, gab es in mir ein zunehmendes Unbehagen. Einerseits ist Achtsamkeit viel mehr als eine Maßnahme des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Es geht immer auch um Führungskräfte-- und Organisationsentwicklung. Wir brauchen sowohl eine Veränderung im Verhalten der Einzelnen als auch ein Neuausrichtung der Verhältnisse. Andererseits stecken wir mitten in einer globalen Krise und die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen erfolgt fast ungebremst weiter. Wollen wir, dass auch unsere Kinder und Enkel auf einer lebenswerten Erde leben, dann müssen wir jetzt mit ganz Vielen aufhören und neue Verhaltensweisen einüben. Diese Themen gehören für mich genauso selbstverständlich wie andere Themen in ein modernes Achtsamkeitstraining.

Bernd Stummeyer: Was sind das für Verhaltensweisen, die jetzt gefordert sind?

Rüdiger Standhardt: An erster Stelle geht es um die Schulung der Achtsamkeit, um die Kultivierung des Geistes und des Herzens. Oder anders ausgedrückt: Es geht um einen bewussten Umgang mit mir selbst und mit meinen Mitmenschen und zwar nicht nur mit denen, die sich in meiner unmittelbaren Nähe aufhalten, sondern auch mit den Menschen, die in den meist fernen Ländern unseren Wohlstand sichern. Schauen wir uns die Lohn- und Arbeitsbedingungen in den sognannten Entwicklungsländern an, so ist das nichts anderes als moderne Sklaverei. Ein wichtiger Leitsatz lautet: Was Du nicht willst, was man Dir tut, das füg auch keinem anderen zu. Zu fragen ist daher: Wollen wir weiter ein behagliches Leben führen auf Kosten der Armen in dieser Welt?

Bernd Stummeyer: Welche Grundhaltungen sind Ihnen sonst noch wichtig?

Rüdiger Standhardt: Es geht um das Prinzip der Selbstverantwortung. Das bedeutet, die eigenen Gestaltungsspielräume zu erkennen und zu nutzen, sich bewusst zu sein, dass die Entscheidung wie ich mich in einer aktuellen Situation verhalte, bei mir selber liegt. Eine solche Sichtweise ist etwas ganz anderes, als das verbreitete Jammern und Klagen, die oft zu beobachtbare „erlernte Hilflosigkeit“ und eine Opferhaltung, wo die eigenen Möglichkeiten nicht gesehen und wahrgenommen werden. Es geht also um das Proaktiv sein, d.h.: ich reagiere nicht nur auf das, was mir das Leben vor die Füße wirft. Sondern ich überlege mir, wo ich hinwill und dann gehe ich gelassen und zielgerichtet in diese Richtung.

Bernd Stummeyer: Es geht Ihnen also um Achtsamkeit und Selbstverantwortung. Wie kann ich mir den Ablauf Ihres TAO-Trainings vorstellen?

Rüdiger Standhardt: Das erste Modul des Trainings Achtsamkeit in Organisationen (TAO) handelt von Persönlichkeitsentwicklung und beginnt mit einer Informationsveranstaltung, in der erklärt wird, was die Intention und die verschiedenen Aspekte des Trainings sind. Ablauf, Dauer und Inhalte werden vorgestellt, eine erste praktische Erfahrung mit einer Achtsamkeitsübung wird gemacht und alle offenen Fragen werden geklärt, damit am Ende der Informationsveranstaltung die potentiellen Teilnehmenden eine klare Entscheidung für oder gegen das Training fällen können. Die Inhalte des Achtsamkeitstrainings sind die Einübung von fünf Achtsamkeitsübungen, das Lesen der acht thematischen Impulse sowie die schriftliche Beantwortung der Reflexionsfragen im TAO-Arbeitsbuch. Die Herausforderung des Trainings besteht darin, sich täglich mindestens fünfzehn Minuten Zeit für die jeweilige Achtsamkeitsübung zu nehmen und mindestens dreimal am Tag die Arbeit für ein kurzes „achtsames Innehalten“ zu unterbrechen. Hervorzuheben ist in dieser Informationsveranstaltung auch die Freiwilligkeit der Teilnahme an diesem Training, denn die Kultivierung von Achtsamkeit kann nicht „verordnet“ werden. Im wöchentlichen Abstand finden dann – in Präsenz oder Online – acht Treffen á einer Stunde statt und nach diesen zwei Monaten gibt es eine ausführliche Reflexionsveranstaltung, in der geklärt wird, ob und wenn ja, wie es weitergeht. Sehr oft wünschen sich die Teilnehmenden als nächsten Schritt ein achtwöchige Kommunikations-training.

Bernd Stummeyer: Was ist der Nutzen dieses Achtsamkeitstrainings für die Arbeitswelt?

Rüdiger Standhardt: Achtsamkeit ist anders, als alles andere, was ich bisher in meinem Leben getan habe. Es geht in erste Linie nicht darum, etwas zu erreichen, etwas zu machen und irgendwo hinzukommen, sondern so absichtslos wie möglich und ganz präsent im Hierund- Jetzt zu sein. Es geht um Wachheit, Innehalten und Offenheit. Die innere Haltung der Achtsamkeit lässt sich nicht erzwingen, sondern diese neue Qualität kann sich durch Einübung im Rahmen eines Achtsamkeitstrainings unter professioneller Begleitung entfalten und auf diese Weise werden dann die von vielen gewünschten „Nebenwirkungen“ für den beruflichen Alltag erfahrbar: klareres Denken, sensibleres Körperbewusstsein, Verbesserung der Regenerationsfähigkeit, Entwicklung von Fähigkeiten, mit Stress konstruktiv umzugehen, anderen Perspektiven mit mehr Wertschätzung begegnen, Fähigkeit zu mehr Selbstverantwortung und Selbstfürsorge, bessere Konzentrationsfähigkeit und Emotionsregulation, Stärkung der Selbsterkenntnis, Gewinn an Wahrnehmungs- und Handlungsfreiheit, Entwicklung von kooperativen Eigenschaften, stärkere Selbst-Distanz und Impuls- Kontrolle, Kultivierung von innere Ruhe und Gelassenheit, Freisetzung kreativer Potentiale. Das ist die große Überraschung für viele Menschen und Organisationen: Die Menschen kommen zur Ruhe, sehen viel klarer als zuvor und wissen, was zu tun ist!

Bernd Stummeyer: Für wen ist Ihr Achtsamkeitstraining geeignet?

Rüdiger Standhardt: Für alle Menschen – vom Hausmeister bis zur Geschäftsführerin, d.h. für alle Mitarbeiter und Führungskräfte, die zur Besinnung kommen wollen, die sich innere Ruhe und Klarheit wünschen und die ihr Leben selbstverantwortlicher gestalten wollen.

Bernd Stummeyer: Was ist Ihnen noch wichtig zum Abschluss unseres Interviews zu sagen?

Rüdiger Standhardt: Anfang 2022 hat die erste TAO-Ausbildung gestartet, geleitet von mir

und einem hervorragenden Dozententeam. So gibt es die Möglichkeit gibt, sich für die Kultivierung von Achtsamkeit in Organisationen ausbilden zu lassen. Und ein Aspekt ist mir in meiner Arbeit immer wichtiger geworden: der Humor. Wenn wir uns mit der globalen Krise und ethischen Fragestellungen beschäftigen und uns auf den Weg des inneren und äußeren Wandels begeben, dann ist es entscheidend, dass der „Ernst des Lebens“ immer mal wieder eine Pause machen darf und wir bei allem Engagement in der Lage sind, über uns selbst lachen zu können. Menschen, die sich selbst mit Heiterkeit begegnen können, haben ein viel gelasseneres Verhältnis zu den eigenen Unvollkommenheiten, nehmen sich nicht mehr „tierisch“ ernst, sind unabhängiger von der Meinung anderer Menschen und handeln viel kreativer. Daher gilt: Glücklich sind die, die über sich selbst lachen können, denn sie werden nie aufhören, sich zu vergnügen.

Bernd Stummeyer: Vielen Dank für unser Gespräch und für Ihre Ermutigung zum Humor.

 

Literatur-Tipp

 

Das TAO-Buch

Rüdiger Standhardt:
TAO – Training Achtsamkeit in Organisationen
Die Kunst, sich selbst und eine Organisation achtsam zu führen
Stuttgart: Klett-Cotta 2022
312 Seiten mit einem Vorwort von Dr. Kai Romhardt, einem Beitrag von Dr. Britta Hölzel und zwei Übungs-CDs.
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„Rüdiger Standhardt gehört zu den Pionieren, die dem Thema Achtsamkeit den Weg in die Geschäftswelt geebnet haben. Mit seinem neuen Buch "TAO - Training Achtsamkeit in Organisationen" gelingt es ihm, die Tiefendimension der Achtsamkeitspraxis, die bei manchen McMindfulness-Angeboten verloren gegangen ist, mit den Anforderungen der Arbeitswelt in eine konstruktive Beziehung zu bringen. Sehr praxisorientiert und mit einem in vielen Jahren eigener Achtsamkeitsübung entwickelten Gespür für die Herausforderungen menschlicher Entfaltung führt Standhardt seine Leser.innen durch Entwicklungsprozesse, die menschliche Tiefe und Wirksamkeit fördern. Meiner Meinung nach ein hervorragendes Buch für alle, die anfangen, die vermeintlichen Zwänge im Business zu hinterfragen. Und die dabei erkennen können, welches erstaunliches Entwicklungspotential ihnen selbst und in der Arbeitswelt noch zu entdecken ist.“ Paul J. Kohtes

„Rüdiger Standhardt hat in seinem Buch „TAO – Training Achtsamkeit in Organisationen“ ein Werk geschaffen, das man im wahrsten Sinne des Wortes als ganzheitlichen Entwicklungsansatz bezeichnen kann. Der durchdachte, allerdings auch anstrengende – weil von aufrichtiger Selbstreflexion getragene - systemische Ansatz wird offensichtlich darin, dass die Themen achtsame Persönlichkeits-, Kommunikations-, Führungs- und Organisationsentwicklung prägnant und geistreich dargestellt werden. Jedem Bereich ist ein Kapitel gewidmet, in denen sich ausgezeichnete Anregungen zu (Selbst-)Reflexion und praktischen Umsetzung von Achtsamkeit gegeben werden. Allerdings fängt Rüdiger Standhardt durch ein vorangestelltes Kapitel an der Stelle an, wo jede achtsame Entwicklung beginnt: Bei sich selbst! Dem Buch ist eine große Leserschaft zu wünschen!“ Prof. Dr. Dr. Niko Kohls

 

Zur Person von Rüdiger Standhardt

Dipl.-Pädagoge, selbständiger Trainer, Berater und Coach, Institutsleiter des Forum Achtsamkeit (www.forumachtsamkeit.de), Autor von neun Buchveröffentlichungen sowie ehrenamtlicher Hospizbegleiter. Langjährige Begleitung von Veränderungsprozessen zu mehr Kundenorientierung, Teamentwicklung und Führungskultur sowie Verkaufs- und Servicetrainings in der Automobilbranche (Mercedes, Mazda. MAN und zuletzt Renault). Nachfolge-Coachings in mittelständigen Unternehmen, u.a. wurde dem von mir sieben Jahre lang begleiteten Mercedes Autohaus Karl Russ in Dettingen im Bundeswettbewerb „Erfolgreicher Stabswechsel“ vom Bundeswirtschaftsminister der Siegertitel 2011 überreicht.

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Bildnachweis: Rüdiger Standhardt; Verlag Klett-Cotta

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