Emotionale Intelligenz
Der Turbo für mehr Führungsqualität
Werner Isele
Immer mehr Unternehmen erkennen den Wert der emotionalen Intelligenz (EQ) ihrer Führungskräfte für eine positive und sinnstiftende Führungs- und Unternehmenskultur. Die wichtige Erkenntnis dabei: EQ ist erlernbar, doch erfordert es Reflexion und Training.
Zielkunden zu definieren und Produkte erfolgreich zu verkaufen ”” das ist die Stärke von Vertriebsmanager Rüdiger Lantke (Name von der Redaktion geändert). Aufgrund seiner hohen Fachkompetenz, gepaart mit Selbstbewusstsein und Durchsetzungsstärke wird er nach kurzer Betriebszugehörigkeit zur Führungskraft befördert. Solche Karrierewege gibt es in vielen Unternehmen.
Aus der Forschung wissen wir, dass der Führungserfolg aber nur zu einem Teil auf die klassischen Fach- und Führungskompetenzen und das Führungsverhalten zurückzuführen ist. Die Kenntnis über die eigenen Verhaltenspräferenzen, wie z.B. ein autoritäres Auftreten, ist zwar wichtig, um die eigene Wirkung auf andere zu verstehen. Aber dabei darf nicht vergessen werden: Verhaltensneigungen sind zu einem großen Teil genetisch angelegt und frühkindlich geprägt, d.h. sie lassen sich nicht grundlegend verändern. Hier leistet die Typologie hervorragende Dienste, doch echtes Entwicklungspotenzial kann damit nicht erschlossen werden. Das bedeutet für den beruflichen Alltag: Auf das Verhalten eines Mitarbeiters und dessen inneren Antrieb (z.B. das Interesse, Verantwortung zu übernehmen) kann die Führungskraft nur bedingt Einfluss nehmen. Eine typologische Potenzialanalyse liefert dabei wichtige Erkenntnisse über die vier Persönlichkeits bzw. Farbtypen, die nach dem jeweils vorherrschenden Verhaltensstil unterschieden werden: D = Dominanz, I = Initiative, S = Stetigkeit und G = Gewissenhaftigkeit. Online-Analysen dieser Art werden daher seit den 1990er Jahren als wirksames Instrument in Unternehmen eingesetzt, um Aufschluss darüber zu gewinnen, in welcher Rolle und mit welchen Aufgaben die Stärken eines Menschen am besten zur Entfaltung kommen.
Noch wertvoller ist die Insights-Analyse in der Version Trimetrix, die zusätzlich eine EQ-Analyse beinhaltet. Hier wird neben den Verhaltenspräferenzen und der Motivation auch der EQ gemessen. Dieser umfasst die intrapersonelle emotionale Intelligenz (=Management der eigenen Emotionen) sowie die interpersonelle emotionale Intelligenz (=Umgang mit den Emotionen anderer). Beim EQ geht es also um die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle zu erkennen, zu verstehen und sie positiv zu beeinflussen. Diese erhöhte Selbsterkenntnis ermöglicht es Führungskräften, bessere Entscheidungen zu treffen und effektiver zu kommunizieren.
Obwohl der EQ über großes Entwicklungspotenzial verfügt, kommt er in der Führungskräfteentwicklung bisher noch viel zu kurz. Vor dem Hintergrund, dass 90% des Führungserfolgs vom Grad der emotionalen Intelligenz der Führungskraft abhängig ist, wie die Studie „Successful Intelligente" vom Intelligenzforscher Robert Sternberg schon in den 1990er Jahren gezeigt hat, dann tun Unternehmen gut daran, in dieses wichtige Potenzial zu investieren. Denn emotionale Intelligenz ist erlernbar.
Die fünf Bereiche des EQ
Eine wichtige Grundlage für die Entwicklung des EQ ist die Schärfung der Selbstwahrnehmung. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, die eigenen Stimmungen, Emotionen und Motivationen zu verstehen sowie deren Auswirkungen auf andere. Eine bewährte Methode, um die eigene emotionale Verfassung zu erkennen und achtsamer zu werden, ist der täglich mehrmalige Blick in den gedanklichen Spiegel. Diese Fähigkeit allein macht aber noch keine gute Führungskraft aus. Ms wichtige Ergänzung kommt die Fähigkeit der Selbstregulierung hinzu, störende Impulse und Stimmungen wahrzunehmen, regulieren zu können und nicht vorschnell zu urteilen, sondern erst nachzudenken und dann zu handeln. Beispiel: Menschen, die sich gut selbst regulieren können, reagieren in Stresssituationen besonnen und ergreifen - akut oder präventiv - Regulierungsmaßnahmen, z.B. Sport oder Meditation. Wenn Führungskräfte über diese Fähigkeit verfügen, dann sind sie auch in der Lage, die emotionale Verfassung ihrer Mitarbeiter zu registrieren und idealerweise mitzufühlen.
Neben diesen beiden Kompetenzen umfasst EQ außerdem die Fähigkeit zur Motivation, zur Sozialen Wahrnehmung (Empathie) und zur Sozialen Regulierung. Letztere ermöglicht es Führungskräften nicht nur, tragfähige soziale Netzwerke aufzubauen und zu pflegen, sondern vor allem auch, sich der eigenen Wirkung auf ihr soziales Umfeld bewusst zu sein. Als „Königsdisziplin" steht diese Fähigkeit an der Spitze der fünf aufeinander aufbauenden Bereiche des EQ.
Lernfelder für unterschiedliche Persönlichkeiten
Je nachdem welchem typologischen Farbtyp eine Führungskraft basierend auf ihrem vorherrschenden Verhaltensstil angehört, lassen sich entsprechende Lernfelder definieren. Wichtig zu wissen: In jedem Menschen sind alle vier Farbenergien angelegt, aber in unterschiedlicher Intensität. Ein roter Typ (rot = dominant) mit einem hohen EQ ist proaktiv und entschlossen, neigt aber bei eher niedrigem EQ dazu, Menschen unter Druck zu setzen und in Stresssituationen sein Gegenüber verbal anzugreifen oder zu beschuldigen. Um seine Selbstregulierungsfähigkeit zu verbessern, könnte dieser Typ Führungskraft im Life-Workshop oder im Einzelcoaching reflektieren, wie sich sein Umgang auf den Mitarbeiter ausgewirkt und welche anderen Möglichkeiten für einen adäquateren Umgang es gegeben hätte. Durch wiederholtes Training erfährt die Führungskraft, wie sie künftig in konfliktreichen Situationen eine gewisse innere Distanz gewinnen und folglich besonnener reagieren kann.
Ein gelber Farbtyp (gelb = initiativ) ist tendenziell positiv und viel im Austausch mit anderen (hoher EQ), aber neigt auch dazu, unverbindlich zu sein und seine Zuhörer mit Überschwang abzuhängen (tendenziell niedriger EQ). Zur Verbesserung seiner sozialen Regulierung könnte im Einzelcoaching reflektiert werden, welche Resonanz er bei seinem Mitarbeiter erzeugt. Außerdem könnte trainiert werden aufmerksam zuzuhören und Gespräche zu führen, die weiter in die Tiefe gehen.
Der EQ hat großes Entwicklungspotenzial
Führungskräfte mit einer intensiven grünen Ausprägung (grün = stetig) pflegen tendenziell Beziehungen mit unterschiedlichen Menschen und stellen sich auf deren Bedürfnisse ein (hoher EQ), aber sind in Konfliktsituationen oft zu intolerant oder auch harmoniebedürftig (eher niedriger EQ). Coaching kann dabei helfen, zu reflektieren, warum eine Führungskraft dem Konflikt aus dem Weg geht, welche Gefühle diese Situation auslöst und wie sie versuchen kann, Unangenehmes im Kontakt mit dem anderen zu lösen (Verbesserung der Selbstwahrnehmung und der sozialen Regulierung).
Ein blauer Farbtyp (blau = gewissenhaft) neigt dazu, sowohl Fakten als auch seine Intuition in Entscheidungen einzubeziehen (eher hoher EQ), aber folgt tendenziell eher der Logik und bemerkt die Bedürfnisse des anderen nicht (eher niedriger EQ). In Konfliktsituationen sollte die Führungskraft versuchen, nicht nur zu rationalisieren, sondern auch Emotionen zu beachten.Beispielsweise könnte sie sich das konkrete Ziel setzen, sich in die Gefühle des anderen hineinzuversetzen (soziale Wahrnehmung) und mit der Unterstützung eines Coachs die Fortschritte reflektieren.
Nutzen für Führungskräfte und das Unternehmen
Eine hohe emotionale Intelligenz ist entscheidend für den Führungserfolg. Führungskräfte, die Sinn stiften und Begeisterung im Team erzeugen wollen, müssen sich der Wirkung auf ihre Mitarbeiter bewusst sein und ein Umfeld für sie schaffen, das ihrer individuellen Persönlichkeit, ihren Stärken und Motiven entspricht. Die Folge ist, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen und ihre Fähigkeiten bestmöglich entwickeln können. Emotional kompetente Führungskräfte vertrauen ihren Mitarbeitern, haben ihre eigenen Emotionen „im Griff" und können sich zudem für ihre Aufgaben erfolgreich motivieren, ohne von gefühlsmäßigen „Ausschlägen" behindert zu werden.
Emotionale Bindungen werden im direkten Arbeitsumfeld erzeugt, und eine Führungskraft mit einem hohen EQ setzt folgende Kausalkette in Gang: Die Mitarbeiter entwickeln eine innere Verbundenheit zur Führungskraft und damit zum Unternehmen, sie sind engagierter und loyaler, und der Workflow und das Betriebsklima verbessern sich. Wenn man bedenkt, dass das Betriebsklima den Unternehmenserfolg zu 20 bis 25% beeinflusst, wie zahlreiche Studien belegen, dann sollten Unternehmen in die Verbesserung des EQ ihrer Führungskräfte investieren. Führungskräfte sind der wichtigste Hebel für ein gutes Betriebsklima mit einer starken Unternehmenskultur.
Zur Person
Werner Isele gründete 2004 das Beratungs- und Trainingsunternehmen EQTrain® in Ravensburg mit heute bundesweit sechs Standorten. Der Dipl.-Betriebs- und Verwaltungswirt ist Experte für Managementdiagnostik, Talenterkennung und Führungskräfteentwicklung.
Bildnachweis: Werner Isele; pixabay - artificial intelligence