Erfülltes Leben

Muss Lernen Sinn haben?

Prof. Dr. Gerold Hüther

Ebenso wie es aus neurobiologischer Sicht unmöglich ist zu leben, ohne zu lernen, ist es aus hirntechnischer Sicht unmöglich zu leben und zu lernen, ohne seinem Leben und Lernen Sinn zu verleihen: Auf Grund seines enorm plastischen, zeitlebens lernfähigen, sich durch sinnliche Erfahrungen strukturierenden Gehirns ist jeder Mensch zu jedem Zeitpunkt seines Lebens darauf angewiesen, neue Sinneseindrücken bzw. die durch neue Wahrnehmungen im Gehirn generierten Erregungsmuster mit den durch vorangegangene Erfahrungen entstandenen und stabilisierten synaptischen Verschaltungsmustern in Einklang zu bringen, ihnen also „Sinn“ zu verleihen.

Die Suche nach Sinn ist also kein nutzloses oder esoterisches Unterfangen, sondern eine, sich aus der Arbeitsweise und der Strukturierung des menschlichen Gehirns zwangsläufig ergebende Notwendigkeit.

Die Hirnentwicklung lässt sich als ein Prozess der sukzessiven Herausformung von in sinnvoller Weise den ältern Strukturen jeweils übergeordneten und diesen älteren Strukturen selbst wieder Sinn-verleihenden Metarepräsentanzen verstehen.

Durch die im Verlauf von Erziehung und Sozialisation gemachten Erfahrungen kommt es zu strukturell im Gehirn verankerten Anpassungsleistungen, die aus sozialer Sicht zwar sinnvoll, aber mit den am eigenen Leib gemachten Erfahrungen unvereinbar – sinnlos – sind. Die damit einhergehende Entfremdung wird so zur Triebfeder einer lebenslangen Suche nach Kohärenz zwischen selbstgemachten und von anderen übernommenen Erfahrungen – der Suche nach Sinn.

Was ist ein sinnerfülltes Leben?

Das Leben, das die meisten Menschen gegenwärtig führen, gleicht einem Wettrennen. Wer zu langsam vorankommt oder gar Umwege macht, landet auf der Verliererstrecke. Das ist unsere alltägliche Erfahrung, sei es bei der Jagd nach einem Sonderangebot, auf der Suche nach einem passenden Partner, an der Arbeit, bei der Berufswahl und natürlich auch schon während des Studiums. Alles muss schnell gehen, so schnell wie möglich, und zwar von Anfang an: Laufen Lernen, Sprechen Lernen, Lesen Lernen, Mathe, Englisch, Biologie, Chemie, Physik möglichst schon im Kindergarten, den Schulstoff durchziehen, das Studium absolvieren, Karriere machen und so weiter und so weiter.

Je schneller, desto besser. Bloß nicht hängen bleiben, bloß nicht versagen, bloß nichts verpassen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Aber stimmt das wirklich?

Könnte es nicht sein, dass man das Leben in Wirklichkeit verpasst, wenn man immer nur von einem vermeintlichen Ziel zum nächsten jagt?

Und wer weiß schon, ob die jeweiligen Ziele, die wir verfolgen, überhaupt die richtigen Ziele sind. Vielleicht kommt es für ein glückliches und erfülltes Leben gar nicht so sehr darauf an, besonders schnell irgendwo anzukommen. Bleibt bei dieser Hatz nicht automatisch vieles „auf der Strecke“, was für ein glückliches und erfülltes Leben dringend gebraucht wird? Und was ist mit all jenen, die wir in diesem Wettrennen hinter uns gelassen, vielleicht sogar rücksichtslos überrannt haben? Was für ein sonderbares Rennen ist das, an dem sich fast alle beteiligen, obwohl es kaum jemanden glücklich, dafür aber sehr viele krank macht? Haben wir das, worauf es im Leben ankommt aus den Augen verloren? Sind wir uns selbst fremd geworden aus lauter Angst, zu spät zu kommen, etwas zu verpassen oder etwas falsch zu machen?

Was sind sinnvolle Übereinkünfte?

Wo immer Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen zusammenkommen, um die aus diesen Erfahrungen gewonnenen Vorstellungen auszutauschen, müssen sie auch gemeinsam nach Lösungen für die Probleme suchen, die sich aus der Unterschiedlichkeit ihrer bisher gemachten Erfahrungen und den daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen zwangsläufig ergeben. Der einfachste und deshalb wohl auch am häufigsten beschrittene Weg bei dieser Suche nach einer Lösung für ein bestimmtes Problem läuft darauf hinaus, dass sich der Eine mit seinen Überzeugungen durch- und über den Anderen hinwegsetzt, sei es auf Grund seiner überlegenen rhetorischen Fähigkeiten, seiner besonders kompromisslos vertretenen Haltung oder seiner als kompetenter und überlegener erscheinenden Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Einschätzung und Lösung der betreffenden Problematik. Die mit derartigen Überrumpelungstechniken erreichten Übereinkünfte zeichnen sich in erster Linie durch ihre zwangsläufig zu Stande gekommene Einseitigkeit aus. Was bei dieser Art von Disputen gefunden wird, sind zwar sehr schnelle, dafür aber wenig tragfähige Lösungen.

info@evfk.de

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Der Artikel ist mit freundlicher Genehmigung entnommen aus Ausgabe 03/08 der Fachzeitschrift CO’MED aus dem Fachverlag für Complementäre-Medizin.
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Literaturhinweis: Ein Literaturverzeichnis kann über die CO’MED-Redaktion angefordert werden.

 

 

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