Prof. Dr. Falko Wilms Prof. Dr. Falko Wilms

Problemlösungsprozesse initiieren

Dialog im Management-Cockpit

Prof. Dr. Falko E. P. Wilms

Die Qualität der Nutzung moderner Management-Cockpits basiert auf der Fähigkeit der Beteiligten, einander an eigenen und fremden Denkprozessen teilhaben zu lassen. So können auf der Basis von nachvollziehbaren Prämissen Entscheidungen von hoher Akzeptanz erarbeitet werden.

Hintergrund

Der große Kybernetiker Stefford Beer hat den grundlegenden Aufbau funktionstüchtiger Unternehmen in seinem Viable System Model [1] aufgezeigt und dessen konkreten Einsatz in der Praxis im Projekt Cybersyn [2] detailliert dargestellt. Der heutige Stand dieses Gesamtkonzeptes liegt in Form des operations room vor, das als Entscheidungsunterstützung im Rahmen der Unternehmensführung konzipiert wurde.

Management-Cockpit

Das Gesamtkonzept besteht insbesondere aus einem Management-Cockpit [3] mit Real-Time-Simu­lationen von Fabrikationsprozessen, diesbezüglich außerordentlich zeitnah ermittelten, verdichteten und wenn möglich visualisiert präsentierten Kenn­größen sowie einem Memory-System, aus dem u. a. die Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten, Gremienbeteiligungen, Informa­tionszugän­ge und die Projekte, Methoden, Werkzeuge von jedem Mitarbeiter ebenso verfügbar sind, wie eine Datenbank der getroffenen Entscheidungen mit den dabei zugrunde gelegten Annahmen und Erwartungen sowie der Status aktuell noch laufender Projekte. In diesem Rahmen werden in immer mehr Großunternehmen grundlegende Entscheidungen erarbeitet und bereits in der Hochschulausbildung designierte Führungskräfte darin ausgebildet. Als erste deutsche Hochschule hat die Hochschule Reutlingen 2008 ein Manage­ment-Cockpit in Betrieb genommen. [4]

Hier zeigt sich besonders deutlich, das marktfähige Organisationen im Kern aus der Kommunikation über Entscheidungen bestehen, wobei jede Entscheidung zugleich an vorherige Entschei­dungen anknüpft und auch eine Voraussetzung für Folgeentscheidungen ist (Abb. 1). Im Blick auf die wirksamen wechselseitigen Verweisungen einzelner Entscheidungen auf andere Entscheidungen entlang des Zeitstrahls ist eine Organisation somit ein rekursiver Entscheidungsverbund, dessen Selbstreflexion anhand interner entscheidungsorientierter Kommunikationspro­zesse erfolgt. [5]

 

Abb. 1: Der Kern marktfähiger Organisationen

Sensemaking

Im Management-Cockpit zeigt sich, das Management auf die Gestaltung gemeinsamer Bedeutungsinhalte im Sinne der Interpretation von beobachteten Ereignisse bzw. Daten ( sense­making [6] ) und der dokumentierten Kommunikation eigener Vorstellungen hinaus läuft.

Wir Menschen haben nur eine begrenzte Fähigkeit, Daten oder Informationen aufzunehmen, zu berücksichtigen und kognitiv zu verarbeiten. Oft wird die eigenen Aufmerksamkeit durch frühere Erkenntnisse auf das beschränkt, was damals als wichtig erkannt worden war (z. B. Verfolgung einer Strategie) und daher fehlen bei unerwarteten Beobachtungen von Ereignissen (z. B. Veränderun­gen der Größenordnung von Kennzahlen aus der Fabrikation) die notwendigen Denk­kategorien zur Interpretation der Beobachtungen. Dann gilt es, Hypothesen zu bilden und sie wo immer möglich durch Daten zu erhärten bzw. zu widerlegen.

Sensemaking wird auch in Management-Cock­pits [7] insbesondere bei unerwarteten Ereignissen deutlich mehr durch Plausibilität geprägt als durch eine genaue empirische Verankerung. Um zu einer gemeinsamen Beurteilung der aktuellen Situa­tion des Unternehmens zu gelangen, ist das Erheben zeitnaher Kennzahlen zwar wichtig, aber entscheidend für die Qualität getroffener Entscheidungen sind die Interpretation der Daten und das plausible Einpassen der Interpretationen in eine konsistente Gesamtsicht der Dinge. Mit modernster technischer Unterstützung der Kommunikation und der Informationsverarbeitung des Top-Managements können wenn-dann-Szena­rien simuliert und überdacht werden, um repro­duzierbare Folgeabschätzungen möglicher Handlungsalternativen zu erarbeiten. Die Qualität dieser Entscheidungsvorbereitung und die Akzeptanz ihrer Ergebnisse basieren auf nachvollziehbaren, durch Versprachlichung einander zugänglich gemachten Denkprozessen der Beteiligten, deren Resultat dann eine von allen Beteiligten als plausibel angesehene, widerspruchsfreie und grundsätzlich widerlegbar formulierte Sichtweise der aktuellen Situation ist.

Dialog

Genau hier kommt der Dialog ins Spiel, denn der Aufbau gemeinsamer Vorstellungen basiert neben den verwendeten Entscheidungsprämissen, der Anschlussfähigkeit einzelner Entscheidungen an vorherige und nachfolgende Entscheidungen in erheblichem Maße auf dem gemeinsamen Gebrauch von Annahmen, insbesondere über die Plausibilität der Letztbegründung bzw. der Anfangsthese. Im Dialog geht es um die sprachliche Erkundung eigener und fremder Gewohnheiten des Denkens, Wahrnehmens und Beurteilens. Die dabei zugrunde gelegte Fragestellung aller Dialogpartner ist:

Wie kommst Du dazu, das so zu verstehen, wie Du es tust?

Mit dem gemeinsamen Erkunden von Antworten und Wirkungen dieser Antworten auf die eigene Urteilsbildung wird auch die persönliche Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für Entscheidungen erhöht.

Das Einüben dazu unabdingbarer Fähigkeiten kreist um die von William Isaacs [8] definierten elementaren Dialog-Fähigkeiten:

  • Zuhören als das Auf-sich-wirken-lassen des Gehörten aus einem inneren Schweigen heraus. 
  • Respektieren als das Verzichten auf jede Form von Abwehr, Schuldzuweisung, Abwertung oder Kritik. 
  • Suspendieren als Erkennen und Beobachten eigener Gedanken, Emotionen und Meinungen, ohne in eine Fixierung zu verfallen.
  • Artikulieren als das Finden der eigenen, authentischen Sprache und des Aussprechens der eigenen Wahrheit.

 

Fazit

Moderne Management-Cockpits sind als Rahmen­gebung für Fachdiskussionen und Eigenreflexionen im Management außerordentlich geeignet. Aber trotzt neuester I+K-Technologien ist die Fähigkeit zur Führung von Dialogen auch darin von unschätzbarem Wert.

 

Dr. Falko E. P. Wilms ist Trainer, Berater und Hochschullehrer; seit 1998 leitet er die Studiengruppe für Organisations-Entwicklung an der Fachhochschule Vorarlberg in Dornbirn, Österreich.

falko.wilms@fhv.at | www.staff.fhv.at/wf


[1] Vgl.: Beer, St.: Cybernetics and Management, New York 1959

[2] Vgl.: Beer, St.: Platform for Change Platform for Change: A Message from Stafford Beer. New York; Reprinted with corrections 1978

[3] Vgl.: Daum, J. H.: Management Cockpit War Room; in: Controlling, 6/2006, S. 311 – 318

[4] Vgl.: http://www.reutlingen-university.de/aktuelles/ein-zelansicht/select_category/9/article/ management-cockpit-hat-zukunftcharacter.html?tx_ttnews%5BpS% 5D= 1222812000&tx_ttnews%5BpL%5D=2681999&t x_ttnews%5Barc%5D=1&tx_ttnews%5BbackPid%5D=993&cHash=719e4cea36 (download 25.05.2010)

[5] Vgl.: Luhmann, N.: Organisation und Entscheidung, Wiesbaden 2000, S. 68

[6] Vgl.: Weick, K. E.: Sensemaking in Organizations,
London 1995

[7] Vgl.: Daum, J. H.: Management Cockpit War Room: Objectives, Concept and Function, and Future
Prospects of a (Still) Unusual, But Highly effectice Management Tool; www.iioe.eu/ fileain/files/publications/MC_ Controlling_Daum_e.pdf, (download 13.07.2010), Abb. 4, S. 6

[8] Vgl.: Isaacs, W.: Dialog als Kunst, gemeinsam zu
denken, Köln 2002

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