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Wieviel Manipulation verträgt der Mensch?

Freiheitsräume des Individuums in der postmodernen Zeit

Dieter Korczak (Hg.)

asanger Verlag 2003, 1. Auflage, 200 Seiten, 19,- Euro

Die Manipulation des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns gehört zwar zu den Konstanten im Leben, aber die Analyse der entsprechenden Manipulationstechniken bleibt überwiegend Spezialisten der Experimental-, Sozial- und Werbepsychologie vorbehalten. Trotz der Vernachlässigung, vor allem in der öffentlichen Diskussion, ist der Diskurs über Manipulation und Autonomie wichtiger denn je. Noch nie sind Menschen derart umfassend Zielobjekte von Manipulationsversuchen gewesen wie heute. Die Versuche zur Beherrschung unseres Bewusstseins, unserer Empfindungen und unseres Verhaltens sind allgegenwärtig. Kein Werbe- oder Modefoto, kein Politikerbild auf Wahlkampfplakaten wird ohne verschönernde Retuschen veröffentlicht. An Videoüberwachungskameras, abgehörte Handytelefonate, eingesehene E-mails, Lauschangriffe und zentrale Datenspeicher bei Handelsketten, Versandhäusern und Auskunfteien hat sich das deutsche Volk offensichtlich klaglos gewöhnt.

Der individuelle Voyeurismus ist Konsum- und Umsatzträger geworden und ist zur Massenbelustigung pervertiert. Das Problem ist deshalb auch nicht mehr die Manipulation an sich, sondern ihre alle Lebensäußerungen umfassende und abdeckende globale Maschinerie. Im vorliegenden Band finden sich aus der Fülle der modernen Manipulationsformen Ausschnittsbetrachtungen, die sich auf die großen Puzzlestücke konzentrieren.

Mit Beiträgen unterschiedlicher Disziplinen: Hans-Ulrich Baumgarten (Philosoph) über das Menschenbild in der Postmoderne, Marianne Soff (Psychotherapeutin) über die Entwicklung der autonomen Persönlichkeit, Aglaja Stirn (Ärztin und Psychotherapeutin) über Körperformung, Tätowierung in verschiedenen Kulturen, Ingelore Ebberfeld (Kulturwissenschaftlerin) über verführerische Düfte und Manipulation der Sinne, Therese Neuer-Miebach (Mitglied des Nationalen Ethikrates) über bio- und gentechnische Manipulation, Jan Tonnemacher (Kommunikationswissenschaftler) über die Manipulation der Medien und öffentlichen Meinung, Helmut Albrecht (Marketingexperten) mit Bekenntnissen eines Werbemannes, Peter Schönhöffer (Anti-Globalisierungsbewegung ATTAC) über die Mobilisierung ökonomischer Vernunft und sozial-ökologischer Fantasie, Dieter Korczak (Soziologe) über die Chancen und Möglichkeiten des Einzelnen, sich den Manipulationen zu entziehen.

Quelle: Text des Verlages


Leserrezension von Marion Kellner-Lewandowski

In unserem Alltag sind wir stetig zunehmenden Manipulationsversuchen unseres Denkens, Fühlens und Handelns ausgesetzt. Dem Soziologen Dieter Korczak, als Herausgeber des vorliegenden Bandes, ist es gelungen, einen Überblick über die vielfältigen Aspekte der Manipulation in unserem Leben zu geben und so „die Freiheitsräume des Individuums in der postmodernen Zeit“ (Untertitel) zu erweitern.

Dieter Korczak kennt beide Seiten der Medaille: die Wachstumszielstellungen von Industrie, Werbung und Medien als auch die Bemühungen von Politik und Bildung um mehr Wissen und Selbstverantwortung auf Verbraucher- und Kundenseite. In dem Wissen, dass der Begriff Manipulation ein breites Spektrum unterschiedlichster Methoden, Ansätze und Wirkweisen abdeckt, strebt er mit Hilfe der Veröffentlichung mehr Autonomie beim Leser als Gegenpart zur Manipulation an.

Hans-Ulrich Baumgarten widmet sich im ersten Artikel des Buches anhand der Homerschen Ilias und Kants Texten der Grundsatzfrage von Autonomie und Freiheit („Die Höllenfahrt ins Himmelreich. Autonomie und Freiheit – philosophische Betrachtungen zum Menschenbild der Moderne“) und weist den Weg der Selbsterkenntnis, um „am Grunde des Ichs … die Autonomie, die selbsterkannte Freiheit“ zu entdecken.

Marianne Soff widmet sich in dem Beitrag „Die Entwicklung zur autonomen Persönlichkeit. Pädagogisch-psychologische Überlegungen“ nach einem Vergleich verschiedener Autonomiekonzeptionen einem idealtypischen Modell der Persönlichkeits-Entwicklung bis zur Autonomie, der Konzeption der „ICH-Entwicklung“ nach Jane Loevinger.

Aglaja Stirn zeigt in dem Beitrag „Körperformung und Manipulation in verschiedenen Kulturen“ den Einsatz des Körpers in der Interaktion mit den Menschen der Gesellschaft auf, um Zugehörigkeit, Lebenswege, Rebellion, Konflikte und konträre Auffassungen auszudrücken.

Ingelore Ebberfeld legt in dem Artikel „Verführerische Düfte und andere Manipulationen der Sinne“ die unterschiedlichen Einsatzfelder olfaktorischer, haptischer und akustischer Reize offen und zeigt Zusammenhänge, Wirkweisen und auch kulturelle Unterschiede auf.

Therese Neuer-Miebach, Mitglied des Nationalen Ethikrates, setzt sich –auch anhand konkreter Beispiele - in „Bio- und gentechnische Manipulationen am Menschen“ mit der gesellschaftlichen Debatte um den Einsatz moderner Technologien auseinander.

Jan Tonnemacher betrachtet in „Die Manipulation der Medien und der öffentlichen Meinung durch PR“ die mehrdimensionale Rolle von Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit und PR, schaut auf Ökonomisierung und Selbstbild von Journalisten und weist auf die Erziehung zum richtigen Umgang mit den Medien hin.

Helmut F. Albrecht zeigt als ehemaliger Werbetexter in „Selbstentblößung oder die Bekenntnisse eines Werbemannes“ über die Licht- und Schattenseiten dieses Berufsstandes.

Peter Schönhöffer dagegen stellt als Vertreter der Anti-Globalisierungsbewegung ATTAC in „Aufgespalten in Verführte und Unterdrückte? Die gesellschaftliche Manipulation untergräbt und provoziert Widerstand“ die Legimation der Profitmaximierung der Entsolidarisierung und zunehmenden Kommerzialisierung menschlicher Spielräume gegenüber. Er wirbt dafür, ökonomische Vernunft und sozialökonomische Fantasie zu mobilisieren.

Im letzten Beitrag „Manipulation und Möglichkeiten der Autonomie“ schließt Dieter Korczak ausgehend von der These, dass menschliches Leben ohne Manipulation nicht denkbar wäre, den Bogen. Er stellt die Einfluss- und Wirkfaktoren der Manipulation auf und Möglichkeiten dar, sich vor ungewollter Manipulation zu schützen.

Insgesamt ein - trotz seiner wenigen Seiten - prall gefülltes Buch, welches sich dem Thema in bislang einzigartiger Art und Weise widmet. Dem Herausgeber ist es gelungen, die große Bandbreite der Thematik aufzuzeigen und hervorragende Autoren mit tiefem Verständnis der Materie zu gewinnen.

Die Texte sind anspruchsvoll, aber dennoch verständlich geschrieben. Weiterführende Literaturhinweise von den meisten der Autoren geben dem Leser die Möglichkeit sich in einzelne Themen weiter zu vertiefen.

Fazit: Das Buch ist kein Ratgeber im Sinne eines „Wie-ich-vermeide-manipuliert-zu-werden?“ mit platten schlagfertigen Sprüchen. Für alle aber, die sich mit dem Thema Manipulation in seiner großen Vielfalt und in der Mehrdimensionalität philosophischer, sozialwissenschaftlicher und gesellschaftlicher Sichtweisen auseinandersetzen möchte, ist dieses Buch dringend zu empfehlen!

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