Noch lange nicht Methusalem!: Warum es sich lohnt, ständig zu lernen 

Lothar Abicht

Noch lange nicht Methusalem

Warum es sich lohnt, ständig zu lernen.

2007, W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld

180 S., 19,90 EUR, ISBN 978-3-7639-3505-5

Lothar Abicht verknüpft die demografische Entwicklung in Deutschland mit den Veränderungen in der Arbeitswelt und der Herausforderung des Lebenslangen Lernens für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Er stellt exemplarisch Formen des selbstorganisierten Lernens vor, die eine neue Lernkultur begründen können; eine Lernkultur, die den Fachkräftemangel entschärft, Lernprozesse optimiert und die Integration Älterer in den Arbeitsprozess ermöglicht. Dazu ist es notwendig, Vorurteile gegenüber älteren Arbeitnehmern abzubauen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und das Tempo der Arbeit anzupassen.Der habilitierte Pädagoge verbindet in diesem Essay Ergebnisse der Arbeitswissenschaft und der Erwachsenenpädagogik mit seinen Erfahrungen als Leiter von Forschungsprojekten zur Qualifikation älterer Arbeitnehmer.

Quelle: Amazon


Leserrezension Prof. Dr. N. Hennning

Die Entwicklung der Menschheit ist mit Fortschritten verbunden, die das Leben der Menschen erleichtern und bereichern und somit lebenswerter machen (können).

Zu diesen positiven Ergebnissen ist zweifellos die Entwicklung der Lebenserwartung der Menschen zu zählen. Lag diese zu Beginn unserer Zeitrechnung bei 22 Jahren und Mitte des 19 Jahrhunderts unter 50 Jahren, so ist sie bekanntlich bis in die Gegenwart auf über 75 Jahre bei Männern und über 80 Jahre bei Frauen angewachsen. Und, dieses Anwachsen wird sich noch fortsetzen.

Die artmögliche Lebensdauer des Menschen liegt nach Ansicht von Gerontologen bei 90 –100 Jahren. Die primäre Aufgabe der Alternsforschung wird von ihnen deshalb darin gesehen, „die Reserven zu erkennen und nutzbar zu machen, die es dem Menschen ermöglichen, ein langes Leben bei Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erreichen.“

Diesem Ziel sollten m. E. auch alle, die in unserem Lande in der Politik, in der Wirtschaft, in Verbänden und Vereinen, im Gesundheitswesen und in den Medien Verantwortung haben, verpflichtet sein.

Dazu ist es notwendig, eine komplexere Sicht auf die Alterung unserer Gesellschaft zu gewinnen und sie nicht vornehmlich unter dem Aspekt der demographischen Entwicklung und der daraus abgeleiteten Unbezahlbarkeit zukünftiger Renten in der öffentlichen Diskussion darzustellen.

Das erfordert neben der Erfassung der Vielschichtigkeit der demographischen Entwicklung und ihrer Auswirkungen selbst, das Erkennen und Berücksichtigen der Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen der Entwicklung jener Faktoren, die sie direkt und indirekt beeinflussen (z. B. Wissenschaft und Technik, Wirtschaft und Arbeitswelt, Medizin und Vorsorge, Bildung, Aus- und Weiterbildung, Familie, Rechtssprechung und Werte in der Gesellschaft).

Dies ist eine Vorbedingung, um vom Reagieren auf einzelne Entwicklungen und ihre Probleme, zu einem Agieren und damit zur zielgerichteten Einflussnahme auf die Gesamtentwicklung zu kommen.

Abichts Buch „Noch lange nicht Methusalem“ ist ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung der Diskussion um die Alterung der Bevölkerung und für eine komplexere Sicht auf die Lösung der damit zweifellos gegebenen Probleme.

Abicht plädiert für einen anderen Blick auf die demographische Entwicklung, für einen nachhaltigen Umgang mit der Ressource Arbeitskraft und für eine neue Lernkultur.

Er stützt sich dabei auf eine umfangreiche Literaturauswertung, die zum einen die Breite der Fachgebiete und die Vielzahl der Fachleute belegt, die sich mit den Problemen des Alterns und der demographischen Entwicklung ernsthaft beschäftigen. Zum anderen ermöglicht dies dem interessierten Leser weiterführende Studien zu neuen, spannenden Erkenntnissen verschiedener Wissenschaftsgebiete.

Der Autor analysiert zunächst sehr sachlich die demographische Entwickung und die damit verbundenen Probleme. Er kommt zu dem Schluss, dass die aus dem demographischen Wandel resultierenden Gefahren „nicht vordergründig in einer Alterung der Gesellschaft liegen“. Diese ergeben sich vielmehr aus der negativen Entwicklung des sogenannten Altenquotienten, d. h., dass immer weniger Erwerbstätige für die materielle Versorgung von immer mehr Rentnern aufkommen müssen.

Folgerichtig formuliert er Strategien, die darauf abzielen, diesen Altenquotienten trotz des weiteren Anstiegs der Lebenserwartung wieder günstiger zu gestalten. Sie zielen darauf ab, die Geburtenrate langfristig wieder anzuheben, den Anteil der erwerbfähigen Personen, die tatsächlich arbeiten, deutlich zu erhöhen sowie die Lebensarbeitszeit durch Anhebung des Renteneintrittsalters zu verlängern.

Der Autor gibt für diese Lösungsansätze einsichtige Begründungen und interessante, erfolgversprechende Vorschläge.

Es sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass die in den letzten Jahren sich durchsetzende Tendenz zur Verlängerung der Wochenarbeitszeit die Unterbeschäftigung verschärft und bei den Bemühungen um die Lösung der Probleme die Verkürzung der Wochenarbeitszeit kein Tabuthema sein darf.

Verfolgt man die öffentliche Diskussion um die gesetzlich festgeschriebene schrittweise Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre, dann ist Abichts dritte Strategie der Verlängerung der Lebensarbeitszeit sehr umstritten. Er verweist jedoch zu Recht darauf, dass niemand genau voraus sagen kann, welche Entwicklungen sich in den nächsten 20 Jahren bezüglich der Beschäftigungssituation vollziehen. Somit müssen auch die Aussagen über die negativen wie positiven Folgen der genannten Erhöhung für die Renten vage bleiben.

Generell ist aber festzuhalten, dass jede Festlegung einer Altersgrenze für den Renteneintritt aus der Sicht der Betroffenen willkürlich und vom Altern an sich nicht herleitbar ist. Gesundheitlicher Status, Leistungsfähigkeit und Motivation für die Arbeit sind in dieser Altersgruppe sehr unterschiedlich ausgeprägt. Anzustreben ist deshalb die Flexibilisierung dieser Eintrittsgrenze.

Sehr überzeugend ist Abichts Plädoyer für einen nachhaltigen Umgang mit der Ressource Arbeitskraft. Er macht deutlich, wie verschwenderisch mit unserer wichtigsten Ressource für Wachstum und Wohlstand umgegangen wird und damit zugleich die Chancen vertan werden, die Sozialsysteme auf eine solide finanzielle Basis zu stellen.

Nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung beruht auf gleichgewichteten ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Zielsetzungen. Sie erfordert einen solchen Umgang mit der Natur und den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen, dass auch die nachfolgenden Generationen günstige Lebensbedingungen vorfinden.

Was die Entwicklung und Nutzung der für unser rohstoffarmes Land so bedeutungsvollen Humanressourcen anbelangt, haben wir beträchtliche Defizite aufzuweisen.

Für Abicht ist die Verschwendung von Humanressourcen durch Massenarbeitslosigkeit und Frühverrentung mit ähnlichen Auswirkungen verbunden, wie die unbekümmerte Vergeudung von natürlichen Ressourcen. Auch wenn sie nicht gleichermaßen offensichtlich sind. In ihren Auswirkungen ist sie jedoch nicht weniger dramatisch. Der Autor verweist z. B. darauf, dass die öffentlichen Haushalte zunehmend ihre Handlungsfähigkeit verlieren , dringend notwendige Investitionen in Bildung und Forschung unterbleiben, zu wenig für die Entwicklung der Humanressourcen getan und damit ihre Nutzung zusätzlich erschwert wird. Damit geht ein gut Stück sozialer Nachhaltigkeit für unser Land verloren.

Aber auch die Unternehmen, die zur Lösung ihrer wirtschaftlichen Situation den Weg der Frühverrentung älterer Mitarbeiter gehen, sind nicht nur Gewinner. Gerade mit dem Ausscheiden älterer und langjährig im Unternehmen tätiger Arbeitnehmer geht neben fachlicher vor allem auch wichtige soziale Kompetenz verloren.

Abicht sieht drei miteinander verbundene Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung der Humanressourcen.

Diese verlieren im Gegensatz zu natürlichen Ressourcen durch Nichtnutzung an Qualität. Ihre permanente Einbindung in Beschäftigung ist deshalb genauso geboten, wie die Vermeidung eintöniger Arbeit ohne Veränderungen, neue Anforderungen und Lernbedarfe.

Sie verschleißen andererseits durch unangemessene Arbeitsanforderungen und –bedingungen, eingeschlossen ein Führungsverhalten von Vorgesetzten, welches zu psychischen Überlastungen bei den Mitarbeitern führt. Die Gestaltung anforderungsgerechter Arbeitsbedingungen und eine mitarbeiterorientierte Führung sichern also den Erhalt und unterstützen nachhaltig die Entwicklung des Arbeitsvermögens.

Die Humanressourcen werden in erster Linie durch Lernprozesse weiter entwickelt. Lernen ist die wichtigste Voraussetzung, um den rasanten Veränderungen in der Arbeitswelt und auf dem Arbeitsmarkt gewachsen zu sein. Zu lernen, so Abicht, ist die wichtigste Investition in die Humanressourcen.

Hieraus leitet sich u. a. die immer wieder erhobene Forderung nach dem lebenslangen Lernen ab. Dies gilt auch für ältere Beschäftigte, insbesondere, wenn der üblichen Frühverrentungspraxis, Einhalt geboten werden soll und das Renteneintrittsalter sukzessive anwächst. Dem stehen aber noch immer Vorbehalte in die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, und vor allem in die Lernfähigkeit Älterer gegenüber.

„Theorien“ wie die vom Leistungsknick in der Lebensmitte und das sogenannte Defizitmodell sind von der Wissenschaft seit längerem als nicht haltbar erklärt worden, spuken aber noch in nicht wenigen Köpfen und bestimmen so auch Personalentscheidungen.

Abicht setzt sich mit dieser Situation auseinander und gibt einen interessanten Einblick über neuere wissenschaftliche Erkenntnisse. Diese zeigen, dass älter gewordene Menschen neben altersbedingten Einbußen und Lernnachteilen gegenüber Jüngeren in mehrfacher Hinsicht Vorzüge und Vorteile besitzen, welche diesen Einbußen entgegenwirken bzw. sie kompensieren.

Es sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass bereits in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts einige wichtige Erkenntnisse zur Entwicklung der Leistungsfähigkeit älterer Menschen und ihrer Lernfähigkeit und ihrer Lernmotivation gewonnen wurden. Der Leipziger Psychologe Löwe führte z. B. Vorteile älterer Menschen im Lernprozess auf deren Lebens- und Berufserfahrungen zurück, die es ihnen ermöglichen, rationeller zu lernen als Jüngere. Ältere können auf Grund der genannten Erfahrungen entscheiden, was vom angebotenen Lehrstoff wichtig ist und sich auf dieses Wichtige konzentrieren.

Abicht kommt zu dem Schluss, das Ältere nicht schlechter, aber in bestimmten Punkten anders lernen als Jüngere.

Er verweist auf eine Reihe von Modellprojekten, die Antwort auf die Frage geben sollten, wie eine Qualifizierung gelingen kann, die das Lernverhalten Älterer berücksichtigt und dabei zur Entwicklung von Fach- und Sozialkompetenz führt. Zu den Merkmalen des Lernverhaltens Älterer, die es dabei zu berücksichtigen gilt, zählt er die hohe Bedeutung von Lernmotivation und eigenen Lernaktivitäten, den Vorzug des Lernen im Ganzen, statt von Teilen wie auch Probleme bei hoher Geschwindigkeit der Stoffdarbietung und fehlende Lerntechniken.

Sehr anschaulich stellt der Autor die Berücksichtigung dieser Aspekte in einem vom ihm mitentwickelten und bereits mehrfach umgesetzten Projektes „Arbeitsplatzreife durch selbstorganisiertes Lernen am zukünftigen Arbeitsplatz“ dar.

Das Projekt verwirklicht wesentliche Elemente der neuen Lernkultur. Deren Kerngedanke wird darin gesehen, die Perspektive des Lernenden in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen. Selbstorganisiertes Lernen ist angesagt. Dies führt zu einer veränderten Rolle von Lehrenden und Lernenden im Lernprozess.

Wie wichtig dem Autor gerade diese Feststellung ist, verdeutlicht das seinem Plädoyer für eine neue Lernkultur vorangestellte Motto „Lernen an beiden Enden des Tisches“.

Abichts Buch ist seiner Aktualität wegen ein breiter Leserkreis zu wünschen und seinem Autor eine Stimme in der öffentlichen Diskussion zu diesem gesellschaftlich so relevanten Thema.

Prof. Dr. N. Hennning
Peine

 

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Stärken stärken
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Beltz Verlag, 2018
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