Dr. Margret Richter Dr. Margret Richter

Systemdenken

Geschichten malen und verstehen

Dr. Margret Richter

Der klassische Problemlösungsansatz erstellt eine „präzise“ Problemdefinition und präsentiert gleich darauf die „richtige“ Lösung. Damit werden häufig Fehlkorrekturen vorgenommen und Probleme verschoben. Die Anwendung der Methoden des Systemdenkens ermöglicht es, Reparaturverhalten zu erkennen und zu vermeiden und ursächliche Problemlösungen zu erarbeiten.

Ein guter Systemdenker ist jemand, der vier Ebenen gleichzeitig betrachten kann: Ereignisse, Verhaltensmuster, Systeme und mentale Modelle.

Die Stern Apotheke im Zentrum einer Kleinstadt war bis vor zehn Jahren der Platzhirsch am Ort. Der nicht verhinderbare Umsatz und Gewinn waren in der Vergangenheit hoch, so dass sich der Apothekenleiter nicht mit Management und Marketing beschäftigt hat. Doch die Situation hat sich stark geändert.

Erste Ebene: Ereignisse

Seit sechs Jahren gehen Kundenfrequenz, Umsatz und Gewinn zurück, mal stärker und mal weniger stark. Die Rohgewinne sinken immer weiter. Neue Wettbewerber sind in den Markt getreten. Es wird immer schwieriger, die Lebensfähigkeit des Unternehmens zu sichern.

Abb. 1: Fehlkorrektur

Aufgrund der angespannten Finanzlage hat der Apothekenleiter vor drei Jahren einige ältere Mitarbeiter entlassen, um den Gewinn zu steigern. Damit war ein voreiliger Schluss gezogen und die Problemlösung abgebrochen. Zur Freude des Apothekenleiters verbesserte sich die Rentabilität im Handumdrehen. Allerdings tat sie das nur kurz­fristig. Die jetzigen Mitarbeiter haben weniger Erfahrung, machen mehr Fehler, beraten schlechter und verkaufen weniger. Das gleicht den Rentabilitätsgewinn wieder aus, der durch den Personalabbau erzielt wurde. Schweren Herzens entscheidet der Apothekenleiter, noch weitere Mitarbeiter zu entlassen.

Die zweite Ebene: Verhaltensmuster

Vor einem Jahr veranstaltete der Apothekenleiter mit seinen Mitarbeitern einen Wochenend-Workshop, um Lösungen und Sündenböcke ausfindig zu machen. Zu letzteren zählen ihrer Meinung nach der Pharmagroßhandel, der die Rabatte immer weiter kürzt, die Gesundheits­politik und die Krankenkassen mit ihren Rabattverträgen.

Das Team malte Kurven zu einigen Schlüsselvariablen wie zum Beispiel Umsatz, Kundenfrequenz, Lieferfähigkeit, um die Trends der letzten drei Jahre zu erkennen. Nach langen Diskussionen erkannten sie, dass die Trends nichts darüber aussagten, warum einige Kurven fielen und andere stiegen. Sie sagten auch nichts darüber aus, welche Gegenmaßnahmen notwendig waren. Sie verstärkten das Gefühl, dass etwas getan werden musste.

Die dritte Ebene: Die systemische Struktur

Dann kam einer auf die Idee, dass es wie bei der Einnahme mehrerer Arzneimittel Wechselwirkungen zwischen diesen Schlüsselvariablen geben könnte. In den folgenden Stunden definierten sie Beziehungen zwischen einigen Schlüsselvariablen, entwickelten und verwarfen verschiedene Hypothesen, bis sie schließlich die Entlassung der Mitarbeiter als eine Fehlkorrektur (s. Abb. 1) erkannten. Je größer die Gewinneinbußen, desto größer die Personalkürzungen. Je größer die Personalkürzungen, desto geringer sind die Gewinneinbußen.

Fast jede Entscheidung zieht langfristige und kurzfristige Konsequenzen nach sich. Beide sind oft diametral entgegengesetzt. Das Problem­symptom schreit nach einer Lösung. Das Gegenmittel, die Verschlimmbesserung wird schnell angewendet, wodurch das Symptom gemildert wird. Doch die unbeabsichtigte Folge der Reparatur (der untere Teufelskreis in Abb. 1) verschlimmert den Zustand, den man verbessern will. Der Apothekenleiter ahnte die negativen Folgen seiner Personalkürzungen, doch der Druck wegen der Gewinneinbußen war schmerzlicher als der Gedanke an die verzögerten negativen Auswirkungen seines Tuns. Das Symptom kehrte schlimmer als zuvor zurück, weil sich die ungewollten Konsequenzen beim unteren Verstärkungskreis immer mehr verstärken.

Die vierte Ebene: Wir müssen das System ändern

Zu diesem Schluss kam das Team nach langen weiteren Diskussionen. Der Apothekenleiter und seine Mitarbeiter erkannten, dass es ihre mentalen Modelle waren, die immer nach Sündenböcken suchten und Hilfe und Erleichterungen aus dem Umfeld erwarteten. Sie erkannten auch, dass höhere Rabatte das System langfristig nicht retten können und wie sie immer stärker in eine Problemverschiebung geraten, wenn der Pharmagroßhandel höhere Rabatte zur Kompensation des Gewinnrückgangs geben würde (s. Abb.2). So stellt sich der symptomkorrigierende Prozess dar: Je höher der Gewinnrückgang, desto höher die Rabatte. Je höher die Rabatte, desto geringer der Gewinnrückgang usw.

Diese kurzfristig wirksame Lösung hat unbeabsichtigte Konsequenzen beziehungsweise Nebenwirkungen. Je höher die Rabatte, desto größer wird der Mangel an Problemlösungskompetenz und desto größer wird die Abhängigkeit von Rabatten beziehungsweise Subventionen und desto größer wird die Notwendigkeit, Aktivitäten zur Erneuerung des Geschäftsmodells zu entfalten. Je mehr unternommen wird, um einen problemkorrigierenden Prozess in Gang zu setzen und Aktivitäten zur Erneuerung des Geschäftsmodells zu entfalten, desto besser ist die Zukunftsträchtigkeit des Geschäftsmodells. Je besser diese ist, desto geringer sind die Gewinnrückgänge. Je geringer diese sind, desto geringer sind die Aktivitäten zur Erneuerung des Geschäftsmodells, desto geringer ist die Zukunftsträchtigkeit des Unternehmens und desto größer sind die Gewinnrückgänge.

Abb. 2: Problemverschiebung

Die beiden Gleichgewichtsschleifen der Problemverschiebung repräsentieren zwei unterschiedliche Lösungsansätze für das Problemsymptom. Der obere Kreislauf steht für eine schnelle symp­tomatische Lösung. Der untere steht für Maßnahmen, die mehr Zeit erfordern und häufig schwierig sind. Doch sie setzen bei der Ursache des Problems an und sind langfristig positiv wirksam.

Die Methoden des Systemdenkens erleichtern es, die kurzfristig wirksamen symptomatischen Lösungen mit ihren Nebenwirkungen zu erkennen und ursächliche Problemlösungen zu erarbeiten.

Literaturtipp:

Senge, P. M.: Die fünfte Disziplin, Klett-Cotta (1999).

Die Autorin:

Dr. rer. nat. Margret Richter studierte in Marburg Pharmazie. Sie hat mehrjährige Erfahrung in der Pharmaindustrie und als selbständige Apothekerin. Dr. Richter hat sich spezialisiert auf das Management komplexer Probleme und arbeitet seit mehr als 15 Jahren auf den Gebieten Vernetztes Denken, Biokybernetik, Systemtheorien und Eva­luation. Als Inhaberin der SOLIDIA Komplexitätsmanagement hat sie ihre Schwerpunkte in den Gebieten Strategie, Veränderung und Evaluation.

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Dr. Margret Richter
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