josef maiwald tj2014 Josef Maiwald

Systemisches Konsensieren

Was wir von „Jamaika“ lernen können

von Josef Maiwald

Studien besagen, dass wir nicht nur aus eigenen Erfahrungen lernen. Am meisten lernen wir aus Fehlern und besonders gut sogar aus den Fehlern anderer. Hier entfällt die Neigung, das eigene Tun zu rechtfertigen. Das vorbehaltlose Reflektieren ermöglicht uns daher, unsere Lehren zu ziehen. Unsere Politiker demonstrieren uns immer wieder eindrücklich, welche Konsequenzen es hat, wenn man gegen die elementaren Erkenntnisse der „Kommunikations- und Führungs-Lehren“ verstößt und können somit – wenn auch unfreiwillig – zu sehr guten „Lehrern“ werden.

Eckpunkte einer konstruktiven Kommu¬nika¬tions- und Entscheidungskultur

Eine der effektivsten Methoden, die für eine konstruktive Kommunikations- und Entscheidungs¬kultur sorgt, ist das Systemische Konsensieren (SK). SK lässt sich gut mit bewährten Ansätzen wie der klassischen Moderationsmethode, der Gewaltfreien Kommunikation oder dem Harvard-Konzept kombinieren. Im Kern geht es darum, dass man a) das Ziel bzw. die Fragestellung präzise formuliert, b) gute Lösungsmöglichkeiten erarbeitet, c) diese bewertet, d) das Meinungsbild als Grundlage für eine strukturierte Diskussion nutzt, und e) eine Entscheidung trifft oder das Ergebnis den Entscheidern bzw. einem legitimierten Gremium zur Entscheidung vorlegt.

Je nach Fragestellung gibt es für SK unterschiedlichen Herangehensweisen und Werkzeuge bis hin zu EDV-gestützten Tools. Im Kern geht es beim SK darum, andere Sichtweisen und Widerstände aktiv herauszuarbeiten, ernst zu nehmen und als kreatives Potenzial zu nutzen. Im Ergebnis führt SK zu Empathie, Rücksichtnahme, Konfliktlösung, kreativer Lösungssuche, zu gemeinsam getragenen Konsensentscheidungen, Vertrauen und letztlich zu konstruktiven Win-Win-Beziehungen (siehe auch „Informationen zu SK“). Diese Aspekte haben in allen Kontexten, in denen es auf die zwischenmenschliche Beziehung ankommt, große Bedeutung – also z.B. in der Pädagogik, Führung, im Rahmen von Geschäftsbeziehungen und eigentlich auch in der Politik.

Der verhinderte Tanz nach Jamaika

Die schrittweise Annäherung wird im Rahmen des Harvard-Konzeptes als „negotiation dance“ bezeichnet. Schritt für Schritt geben die beiden Seiten nach, bis man sich irgendwie „in der Mitte trifft“ und – oft genug – einen faulen Kompromiss schließt. Damit ist zu befürchten, dass die nächste Regierung genauso uneffektiv arbeiten wird wie die letzten.

Angela Merkel räumte 2016 jahrelange Fehler in der Flüchtlingspolitik ein. Sie sagte: „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit um viele, viele Jahre zurückspulen, um mich mit der ganzen Bundesregierung und allen Verantwortungsträgern besser vorbereiten zu können auf die Situation, die uns dann im Spätsommer 2015 eher unvorbereitet traf.“ Selbsterkenntnis kann ja ein erster Schritt zur Besserung sein. Was aber hat sie zwischen dieser Aussage im Herbst 2016 und der Wahl ein Jahr später Entscheidendes vorangetrieben?

Liegt es an den agierenden Personen, oder gibt es systematische und systemisch wirkende Ursachen für solche unbefriedigenden Situationen?

Als normal in der Politik gilt, sein Profil zu schärfen und einen harten Wahlkampf zu führen. Entsprechend wurde von vielen Medienvertretern beklagt, der Wahlkampf 2017 sei langweilig und das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz sei ein „Duett statt Duell“ gewesen - ernsthafte Attacken des Herausforderers seien leider ausgeblieben.

Normal und als gut gilt in der Politik auch, dass es eine Opposition gibt, die alles, was die Regierenden machen, schlecht redet. Nach der Wahl am 24.09.17 hat die SPD sehr schnell die Entscheidung bekannt gegeben, lieber in die Opposition zu gehen. Wie diese „wertvolle“ parlamentarische Arbeit aussehen mag, hat ja Andrea Nahles, die neue Fraktionsführerin, mit ihrem medienwirksamen Spruch nach der letzten Kabinettssitzung bereits angekündigt. Ihre Antwort, wie ihr nun zumute sei: „Ein bisschen wehmütig – und ab morgen kriegen sie in die Fresse!“.

Während sich in der Wirtschaft in weiten Teilen durchgesetzt hat, gute Beziehungen zu pflegen, und selbst Konkurrenten lieber als Mitbewerber zu bezeichnen, treten – angefeuert von Vertretern des eigenen politischen Lagers und von sensationsgierigen Medien – Politiker zwischenmenschliche Beziehungen mit Füßen. Es geht um Kampf, Abgrenzung, machtorientierte Durchsetzung und um Mehrheitsbeschaffung durch Fraktionszwang und „faule Kompromisse“. Personen, die diese Mechanismen beherrschen, wird „Führungsstärke“ zugeschrieben.

Der Kardinalfehler in der Politik

Ganz selbstverständlich werden nicht nur in Wahlprogrammen Positionen besetzt, die man anschließend durchsetzen will. Nach dem Harvard-Konzept ist dies einer der Kardinalfehler. Schön zu beobachten war dies z.B. in der Diskussion um die „Obergrenze“. Monatelang führten die beiden Schwesterparteien CDU und CSU eine fruchtlose Diskussion über diese Vokabel. Am 06.10. sagte Horst Seehofer vor dem ersten Gespräch unter den Schwesterparteien gegenüber der Presse „Ich kann ohne eine Lösung zur Obergrenze zu meiner Basis nicht zurück“. Damit wollte er vermutlich seine Position zementieren. Klüger wäre es gewesen, die Interessen und Ziele zu formulieren und sich damit Verhandlungsspielräume zu eröffnen, durch welche Maßnahmen diese Ziele erreicht werden können. Am 09.10. einigte man sich als neue Vokabel auf den „atmenden Deckel“, eine Kompromiss-Lösung, die auch schon im Januar im Gespräch war, damals aber nicht akzeptabel erschien.

Die Jamaika-Sondierungen scheinen ähnlich uneffektiv verlaufen zu sein. Nachdem man sich im Wahlkampf attackiert hat, versuchte man, persönliche Animositäten auszuräumen und sich in den Positionen zu nähern. Einen Monat nach der Wahl war man laut dem stellv. FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki noch keinen wesentlichen Schritt vorangekommen. Robert Habeck (B‘90/Grüne, Vize-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein) sagte, die Verhandlungen im Bund seien deshalb schwieriger, da die Themen komplizierter seien. Außerdem stehe man noch mehr unter medialer Beobachtung. „Irgendwann muss jemand aufstehen und sagen, ‚Ich gehe einen halben Schritt auf Euch zu‘, obwohl das nicht im Parteiprogramm steht. Und wenn das gleich als Verrat und Umfallen bewertet wird, wird das nie passieren.“
Das heißt, selbst wenn sich die agierenden Personen auf die einzig sinnvolle Verhandlungsführung besinnen könnten, würden sie dafür in der Öffentlichkeit und durch ihr eigenes politisches „Lager“ scharf kritisiert. Zu welchem (vorläufigen) Ende der Tanz führte, ist ja bekannt.

Fazit

Politiker haben nicht nur ein schlechtes Image. Ihr Verhalten und ihre Strategien sind auch nicht mehr zeitgemäß und widersprechen den Erkenntnissen der Verhaltenswissenschaften. Was sich in anderen Kontexten als richtig erwiesen hat, sollte auch in der Politik übernommen werden. 

Trotz Politikverdrossenheit, trotz dem verstärkten Aufkommen von Populisten, trotz der eigenen  Unzufriedenheit und immer schwieriger werdenden Koalitionsverhandlungen betrachten die Parteien die starre Mehrheitskoalition für alternativlos. Eine Debatte über die Art der politischen Zusammenarbeit findet nicht statt. Wie es anders gehen kann, zeigt die dänische Minderheitsregierung. Sie sucht je nach Thema Kooperationspartner aus dem weiten Spektrum der im Parlament vertretenen Parteien.

Ihre aktive Beteiligung ist möglich

Es gibt mittlerweile viele Fallbeispiele, die belegen, dass Systemisches Konsensieren zu einer konstruktiven und effektiven Kommunikations- und Entscheidungskultur führt – im Privaten, in Organisationen, in Firmen, im oft schwierigen politischen Umfeld und im Rahmen von Bürgerbeteiligungen. Unter anderem gelang so die konfliktfreie Zusammenlegung von vier steirischen Gemeinden zu einer Gemeinde. Diese grundsätzlich konfliktträchtige Situation, in der die Beteiligten viel zu verlieren haben, wurde so gut gelöst, dass die Gemeinde Weißkirchen wegen der Vorbildwirkung für eine „Konfliktkultur im öffentlichen Raum” den Österreichischen IRIS-Award 2014 in der Kategorie Reformgemeinden gewonnen hat.

Damit wir Erfahrungen mit SK auf eine fundierte wissenschaftliche Basis stellen können, möchten wir Sie bitten sich an einer Studie zur Veränderung der Entscheidungs- und Besprechungskultur durch SK zu beteiligen. Mehr dazu beim Autor.

Weitere Informationen zum Thema

  • Josef Maiwald: Smart entscheiden! Systemisches Konsensieren für Führungskräfte; 2016 Josef Maiwald: Smart entscheiden! Methoden und Strategien, die Sie voranbringen * privat * beruflich * gesellschaftlich; 2014 www.isykonsens.de smarterlife.de > Impulse > Systemisches Konsensieren
  • Youtube > nach Stichwort „Systemisches Konsensieren“ suchen.

Der Autor: Josef Maiwald

Josef Maiwald ist Dipl. Psychologe und Spezialist für Personalentwicklung, Talentmanagement, Betriebliches Gesundheitsmanagement sowie Systemisches Konsensieren. Seit über 25 Jahren ist er in der Personal- und Führungskräfteentwicklung für internationale Konzerne, mittelständische Unternehmen sowie öffentliche Verwaltungen tätig. Er ist Begründer des Experten-Netzwerks SmarterLife und seit 2011 Ausbilder und Vorstandsmitglied im Institut für Systemisches Konsensieren, IsyKonsens Deutschland.

Kontakt:
Josef Maiwald
A-BiS Gesellschaft für Unternehmensentwicklung mbH
Zeheterstr. 11, 83607 Holzkirchen
Tel.: 08024 – 4 77 44 57, entscheiden@smarterlife.de
www.a-bis.de , www.smarterlife.de , www.smarterlife-verlag.de 

* Die vollständige Beispieltabelle finden Sie innerhalb der nachfolgend angebotenen Excel-Tabelle.


Informationen zum Thema und eine sehr nützliche Excel Tabelle

Weitere Praxisbeispiele zum Konsensieren und viele weitere Informationen für Trainer, Berater und Coaches zum Thema finden Sie auf der Trainertreffen-Website. Hier haben wir für Sie auch ein besonderes Schmankerl bereitgestellt, eine Excel-Tabelle zum Download, die automatisch die Zellenwerte bunt einfärbt:

Download der Exceldatei, die automatisch Zellenwerte bunt einfärbt ...