Peter Brix

Peter Brix

Die Fitness des Projektleiters (5)

Lernen für das Leben und nicht für die Schule

Die Autoren dieser teilweise provokanten Artikelreihe geben handfeste Anregungen zur Verbesserung der Projektarbeit im Unternehmen. Gleichzeitig setzen sie Impulse zum Blick über den Experten-Tellerrand der bestehenden Projektmanagement-Gepflogenheiten. In den ersten vier Artikeln dieser Reihe wurde der Begriff Projektkultur eingeführt, die Wichtigkeit der Teamentwicklung unterstrichen und für eine einfache Projektmanagement-Systematik plädiert. Dieser Artikel diskutiert Bedeutung und zielführende Formen einer geeigneten Projektleiter-Qualifizierung.

Liebe Leserin, lieber Leser, zehn Jahre war ich aktiver Projektleiter, vier Jahre Multi-Projekt-Leiter und Linien-Führungskraft, bevor ich als Coach seit 1995 mehr als 2000 Projektleiter in offenen und Inhouse-Seminaren trainiert habe. Die Seminar- und Coaching-Arbeit ist für mich Hauptberuf und Hobby. Ich erlaube mir, in diesem Artikel durchgehend in der Ich-Form zu schreiben und Sie direkt anzusprechen.

Der Projektleiter als Führungskraft

Worauf sollen wir als Unternehmen in der Projekt-Matrix-Organisation vorrangig setzen: Administration, EDV/Software oder den Projektleiter als temporäre Führungskraft? Die Projektleiter sind nach meiner Meinung der wichtigste Motor: Ihre Geschicklichkeit, ihr Durchsetzungsvermögen, ihre Kontaktfähigkeit, ihre Reflexionsfähigkeit und Lernbereitschaft prägen langfristig den eigentlichen Projekterfolg. Deswegen sollten wir den Projektleiter als Führungskraft angemessen fördern. Im Folgenden kommentiere ich gängige Standards der Weiterbildung zu Ihrer Orientierung, um anschließend einen ganzheitlichen Ansatz zu empfehlen.

Das Angebot an offenen Seminaren ...

… verschiedenster Institute ist sehr groß. Mit Sicherheit können Sie heute, nach einer Lernphase von ca. 30 Jahren, fast überall ein durchaus zufriedenstellendes Methoden-Seminar buchen. Etwas diffiziler wird es schon bei den sogenannten „Soft Skills“. Sind sie ausreichend praxisnah, psychologisch fundiert und war der Trainer – hoffentlich! – selbst Projektleiter? Was die Angebotspalette betrifft: Vorsicht, Trend zum sogenannten Titel-Bauchladen, wie ihn die anderen Anbieter eben auch haben. Kein Problem, wenn man sich vorher an zuverlässigen Stellen informiert. Der Vorteil von offenen Seminaren liegt im Erfahrungsaustausch mit Teilnehmern aus anderen Unternehmen, also im Blick über den eigenen Tellerrand.

Inhouse-Seminare ...

… bedeuten, dass der Trainer zu Ihnen ins Haus kommt. Der Vorteil besteht darin, dass die Inhalte und Vorgehensweisen auf spezifische Unternehmensbelange angepasst werden können. Gegenüber offenen Seminaren bestehen auch klare Kostenvorteile, z. B. ca. 50% Einsparung bei acht Teilnehmern. Bei der Wahl des passenden Trainers ist besonders darauf zu achten, ob er die für das eigene Unternehmen richtige Sprache spricht. Zusätzlicher Aufwand entsteht für ein spezifisches Konzept, für Abstimmungen, die Teilnehmerauswahl und die Organisation.

Zertifizierung nach Qualitätsstandards

Sicher haben Sie schon von Ausbildungen gehört, die sich an „PMI“ orientieren, ein „Level D bis A“ (nach IPMA) vergeben, um nur die zwei gängigsten Typen zu nennen. Ausbildungen dieser Art liegen seit einigen Jahren klar im Trend. Sie bieten den Vorteil, dass Sie eine neutrale Bestätigung der Projektmanagement-Kompetenz durch eine zertifizierte Körperschaft erhalten. Viele Projektleiter, auch außerhalb Ihres Unternehmens, erwerben den gleichen Wissens- und Sprachgebrauch.

Die angestrebte Einheitlichkeit und branchenübergreifende Anwendbarkeit der postulierten Verfahren birgt allerdings die Gefahr der Methodenüberfrachtung oder der Irrelevanz für den ein oder anderen späteren Anwender. Das curriculare Lernen, die starre Orientierung an einem Lehrplan, sehe ich ebenfalls kritisch. Erlebnisorientiertes Lernen und damit Veränderungsarbeit kommt hier nach meiner Einschätzung leider kaum vor.

Alle vorgestellten Seminarformen haben ihre Berechtigung. Allerdings stehe ich persönlich weniger auf Lehren wie in der Grundschule, ich suche mit meinen Teilnehmern nicht die Anpassung, z. B. durch Auswendiglernen, sondern den aktuellen Situationsbezug, die eigenverantwortliche Reflexion auf der Basis möglichst breit gefächerter Wahrnehmung und Bewusstheit – lebendiges Lernen eben.

Bei einer kritischen Betrachtung des Weiterbildungsangebotes fällt des Weiteren auf, dass die Persönlichkeitsentwicklung des Projektleiters praktisch außen vor bleibt. Nach meiner ungefähren Schätzung sehe ich im Seminarangebot folgende Verteilung: etwa 60% allgemeine Methodik, 25% Soft Skills und ca. 15% spezielle Methoden wie Controlling. Die Förderung des Projektleiters als Person wird zwar thematisiert (siehe Kompetenzbasiertes Projektmanagement-PM3), aber wenig bis gar nicht praktiziert. Schade, hat sie doch nach meiner Anschauung den größten Einfluss auf das Projektgeschehen.

Ein ganzheitlicher Ansatz

Ich empfehle die kontinuierliche Weiterentwicklung des Projektleiters in seinem generellen Bewusstsein für seine Führungsrolle und in den nachfolgenden drei relevanten Lernfeldern:

Ohne einen bestimmten Anteil an Methodik wird kein Projekt auskommen. Natürlich spielen die Art und Weise eines Projektstartes, ein gewisses Instrumentarium zur Steuerung, die Beschreibung von Rollen und ihrer Zusammenhänge, geeignete Arbeitstechniken und eine Mindest-Dokumentation eine erhebliche Rolle.

Kommunikation oder auch „Soziales“, der Austausch mit Menschen, bildet das zweite wichtige Themenfeld. Welches Menschenbild tragen wir in uns, wie beziehen wir andere mit ein, wie sieht unsere Kommunikation in verschiedenen Situationen aus, wie managen wir interpersonelle Konflikte und wie geben wir Feedback, um nur einige Schwerpunkte zu nennen. Auf den eher eigenwilligen Begriff „Soft Skills“ habe ich hier bewusst verzichtet. „Skill“ bedeutet Werkzeug und löst allzu leicht Assoziationen aus mit zu kurz greifenden Rezepterwartungen („wie mache ich, dass ...“), anstatt auch weiterführende Aspekte zuzulassen, z. B. eine grundsätzliche Beziehungsgestaltung.

Die Authentizität, hier in der Definition „Übereinstimmung mit sich selbst und der Aufgabe“, ist das dritte Entwicklungsfeld. Im Themenvorrat finden sich Aspekte wie Selbst- und Fremdwahrnehmung, Akzeptanz der eigenen Grenzen, aufspüren von inneren Bremsern und Antreibern, Prägnanz, Präsenz sowie Menschlichkeit und Herzlichkeit.

Das angemessene Verhältnis dieser drei Lernfelder zueinander? Seit zwei Jahren befrage ich meine Teilnehmerinnen und Teilnehmer danach. Das Ergebnis in Prozent, mit relativ sehr niedriger Streuung: 30 zu 35 zu 35! Ausgerechnet dem Anteil von 35% für Persönlichkeitskompetenz wird in der Praxis aber noch fast kein Stellenwert eingeräumt. Schade, weil überzeugendes, kraftvolles Arbeiten und auch das Gegenteil davon, Verschleiß bis hin zum Burn-out, erst auf dieser Ebene wirkungsvoll bearbeitet werden können.
Um einen guten Fluss im Seminargeschehen sicherzustellen, sollten diese Themen nicht in einzelnen Seminarblöcken zu jeweils 100% „abgehandelt“ werden. Ein interessantes und bewegendes Seminargeschehen und Coaching ist in verschiedenen Blöcken mit unterschiedlich großen, aber mit allen Anteilen ausgestattet – was natürlich eine entsprechende Ausrichtung des Trainers voraussetzt.

Sicher ist das skizzierte Fitnessprogramm noch weiter ausbaufähig. So können beispielsweise Module zu körperlichen Fitness und Mental-Trainings im Bedarfsfall in das Angebot integriert werden.

Am Rande stellt sich auch noch die Frage, ob nicht womöglich Humor in einer so bierernsten Angelegenheit wie „Projektmanagement“ mithelfen darf – sowohl in der Lehrmethode als auch beim Inhalt. Ich denke mal, es kann nicht verkehrt sein, auch in dieser Disziplin fürs Leben zu wachsen.

In der Lernsystematik dürfen wir nie aus den Augen verlieren, die Menschen direkt und situationsbezogen zu unterstützen, keine falschen Sichtweisen und Versprechungen zu benutzen, alles möglichst einfach zu halten und Formate zu wählen, die den hohen Arbeitszeit-Belastungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gerecht werden.


Liebe Leserin, liebe Leser, vielleicht sind Sie und Ihre Projektleiter dort schon lange angekommen und brauchen sich gar keine Gedanken um weiterführende Lernmodelle mehr zu machen? Das würde uns freuen, bitte berichten Sie uns davon!

Der nächste, sechste und abschließende Artikel dieser Reihe beschäftigt sich kritisch mit der Projektmanagement-Methodik im Unternehmen. Mit dem Titel „Irrtümer des Projektmanagements“ werden wir hier in Sachen humorvolle Experten-Selbstkritik vorbildhaft vorangehen.

Wir haben Ihr Interesse geweckt? Dann fordern Sie gerne das Gesamt-Artikelverzeichnis und weitere Artikel an. Wir bieten Ihnen außerdem alle Themen, einzeln oder in der von Ihnen gewünschten Kombination, als Impulsvorträge oder Gesprächsgrundlagen für Veranstaltungen in Ihrem Unternehmen.


 

Peter Brix, Jahrgang 1952, Dipl.-Ing.,
Projektmanagement-Fachmann und Coach:
Ich kenne als Ingenieur die Welt der Lösungsorientierung, als Trainer und Coach setze ich auf die erforderliche Prozessorientierung. Ich stehe für eine klare Linie und unkomplizierte Zusammenarbeit im Team und mit Kunden.
Kontakt: peter.brix@PROJEKTKULTUR.INFO und 08856-82167


Literaturhinweise:

Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM3)
Michael Gessler (Hrsg.), GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V., 2009

Downloads: www.peterbrix.de:

  • „Das passende Projektleiter-Zertifikat“
  • „Projektmanagement mit Humor“
  • „Lernfelder für Projektleiter“

 

 

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