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Kulturwandel gestalten

Agilität durch Vielfalt und interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter*innen

Annelie Tattenberg

Arbeiten Menschen zusammen, kann es früher oder später zu Konflikten kommen. Häufig erlebe ich dann in der Praxis, dass die Unterschiedlichkeit der Menschen als Problem und Ursache dafür gesehen wird. Vielleicht ein Grund dafür, dass – wie Studien belegen – Vorgesetzte diejenigen fördern, die ihnen ähnlich sind. Monokulturen sind allerdings nur in einer gleichbleibenden Umgebung vorteilhaft. Die Zukunft gehört agilen Unternehmen und Organisationen. Bei der Transformation von einer Monokultur zu einer Kultur, die ihre Chancen in der Vielfalt sieht und Vielfalt als Ressource nutzen möchte, wird es zwangsläufig zu Konflikten im Veränderungsprozess kommen. Wie damit umgehen?

Betrachtet man Konflikte einzeln, ohne Berücksichtigung des gesamten Systems (z.B. der Abteilung, des Projektteams), wird lediglich ein Symptom, nicht aber die grundsätzliche Ursache für den Konflikt behoben und der Eindruck erweckt, es handele sich um ein Problem einzelner.

Erst mit einem systemischen Ansatz bekommt man die Möglichkeit, das System umzugestalten und hat somit die Chance, nachhaltig Probleme zu lösen, Konflikte zu minimieren und auch für zukünftige Herausforderungen gewappnet zu sein.

Konflikte – der Schlüssel zur nachhaltigen Veränderung und zu Wachstum

Voraussetzung für eine nachhaltige Veränderung der Situation ist die generelle Haltung, welche gegenüber Konflikten eingenommen wird. Werden Konflikte negiert, verdrängt oder als unlösbares Problem wahrgenommen, kann die darin liegende Chance wohl kaum gesehen und somit nicht genutzt werden.

Durch Konflikte wird deutlich, was ohnehin vorhanden ist: z.B. unterschiedliche Arbeitsweisen oder Kommunikationsmuster.

Konflikte bieten – unter Einbeziehung der Konfliktparteien und weiterer Akteure sowie unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse der Beteiligten –, das Potential, gemeinschaftlich eine nachhaltige und passende Lösung für ein System zu finden und einen positiven Veränderungsprozess zu gestalten. So können agile und belastbare Systeme entstehen.

Sensibilisierung der eigenen kulturellen Brille eröffnet neue Möglichkeiten

Für die Schaffung eines agilen Systems und einer positiven Arbeitsatmosphäre ist eine Sensibilisierung für die eigene „kulturelle Brille“, also für alles, was unsere Wahrnehmung beeinflusst, notwendig. Die Reflektion unserer „kulturellen Brille“ darüber, wie andere unsere Worte und Handlungen wahrnehmen – und damit auch die Arbeit an Selbst- und Fremdwahrnehmung – ist wichtig. Sie unterstützt – genau wie die Beschäftigung mit unterschiedlichen Kommunikations-, Denk- und Handlungsmustern – die Suche nach einem gemeinsamen Nenner in einem diversen Umfeld.

Die so eingeleitete Veränderung wird keine nennenswerten Widerstände hervorrufen, da sie praktisch von innen heraus, also aus dem System heraus, geschieht. Die in einem solch diversen Umfeld entstehende Kreativität und die Möglichkeit der Berücksichtigung verschiedener Sichtweisen ermöglichen eine ressourcenschonende Anpassung an permanente Veränderungen.

Die Beschäftigung mit der eigenen „kulturellen Brille“ und der der anderen, lenkt den Blick auf die Unterschiede der Menschen. Im Hinblick auf mögliche Konflikte, die durch die Unterschiedlichkeiten entstehen können, ist das wichtig, um von der Wahrnehmung des Konflikts als isoliertem Problem wegzukommen und zur Nutzung der sich hinter dem Konflikt verborgenen Möglichkeiten zu gelangen.

Fokussierung auf Unterschiede ist anfangs notwendig

Die Fokussierung auf Unterschiede ist also zunächst notwendig, um diese zu reflektieren, die Perspektive wechseln, adäquat mit den Unterschieden umgehen und Verständnis füreinander entwickeln zu können sowie sich seiner eigenen Haltung zur Andersartigkeit des anderen und damit seines eigenen „blinden Flecks“ bewusst zu werden. Durch die so eingeleitete Weiterentwicklung, die Reflektion und die Einbeziehung verschiedener Perspektiven schafft sie die Voraussetzung für eine gelingende Zusammenarbeit und die Basis für eine agiles System.

Fallbeispiel: Indischer Programmierer

Ich erinnere mich noch gut an einen Fall eines indischen Programmierers. Das Unternehmen, bei dem er angestellt war, hat sehr lange auf dem deutschen und europäischen Markt nach einem entsprechenden Spezialisten gesucht. Da ganz besondere Kenntnisse gefordert waren, die bei keinem Bewerber vom deutschen und europäischen Markt vorgewiesen werden konnten, hat man sich über die Grenzen Europas hinaus umgesehen und wurde in Indien fündig. Bevor der Mann mit seiner Familie nach Deutschland kam, erhielten er und seine Frau ein Deutschlandtraining, um sie auf ihr Leben und die Arbeit in Deutschland vorzubereiten. Eigentlich optimale Voraussetzungen für einen Start in einer neuen Tätigkeit in einem anderen Land. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich erste Konflikte zwischen dem Mann und seinen Teamkollegen entwickelten, die prompt eskalierten. Eine Zusammenarbeit schien nicht mehr möglich. Das Unternehmen zog es in Erwägung, die Zusammenarbeit mit dem Spezialisten aus Indien zu beenden.

Was war passiert? Der indische Mitarbeiter und seine Frau erhielten ein Deutschlandtraining von einem indischen Trainer und verhielten sich genauso, wie es ihnen dieser Trainer vermittelt hatte: Nämlich so, wie dieser selbst dachte, wie alle Deutsche seien. Ganz so, als handele es sich bei allen Deutschen um eine homogene Gruppe. Er vermittelte das Bild: alle Deutsche seien immer pünktlich und würden direkt kommunizieren. Das führte unter anderem dazu, dass der indische Kollege immer überpünktlich war und seine KollegInnen rügte, sobald diese zu spät kamen.

Das kam nicht besonders gut an. Statt die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und für mögliche Unterschiede zu sensibilisieren, die Wahrnehmung zu schärfen und mögliche Handlungsoptionen zu erarbeiten, wurden in dem Deutschlandtraining Stereotype weitergegeben. Hinzu kam, dass der Mann mitten in einem Kulturschock steckte, was sich auf seine Gefühls- und Gedankenwelt auswirkte.

Seine KollegInnen ihrerseits arbeiteten erstmals mit einem Kollegen aus Indien zusammen. Es fehlte auch ihnen an interkultureller Kompetenz. Auch sie dachten in Stereotypen, die die Zusammenarbeit erschwerten.

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Sensibilisierung ist der Schlüssel

Interkulturell kompetent ist, wer die Fähigkeit besitzt, mit Unterschieden umgehen zu können, sich seiner Wahrnehmungen bewusst ist, empathisch kommunizieren kann, im Umgang mit sich selbst sicher ist, Ambiguitätstoleranz besitzt, über kulturelles Wissen und interkulturelle Techniken verfügt.

Meiner Erfahrung nach reagieren Teammitglieder oft positiv auf interkulturelles Training. Vor allem, weil durch dieses deutlich wird, dass es trotz einiger Unterschiede sehr viele Gemeinsamkeiten gibt, man sich ergänzen sowie voneinander lernen kann und dass bestimmte Gruppen doch nicht so homogen sind, wie zunächst angenommen.

Die interkulturelle Sensibilisierung in Teams durch solche Trainings hat einen positiven Nebeneffekt: sie stärkt das Team, wirkt sich nachhaltig positiv auf die Arbeitsatmosphäre sowie die Zusammenarbeit aus und sensibilisiert nicht nur für die Zusammenarbeit und den Umgang mit KollegInnen aus anderen Ländern,

sondern auch für KollegInnen mit Handikaps oder solchen, mit diversen sozialen Hintergründen (siehe hierzu: Modell von Gardenswartz und Rowe: „4 Layers of Diversity“).

Durch die Reflektion eigener Kommunikations-, Denk- und Handlungsmuster entwickelte jeder im Team eine für sich passende Form der Zusammenarbeit. Da interkulturelle Zusammenarbeit von jedem einzelnen Teammitglied abhängig ist, kann jedes Mitglied diese Zusammenarbeit gestalten, ohne seine Authentizität zu verlieren.

Konflikte lassen sich minimieren

Konflikte lassen sich minimieren, wenn man das ganze System betrachtet (bei meinem Beispiel hier das Team), wenn die Menschen, die Teil des Systems sind, interkulturell kompetent sind und wenn ein Gesamtkonzept vorhanden ist. Auch wenn immer wieder ein tiefes Bedürfnis besteht, durch interkulturelle Trainings Verhaltensmuster zu erlangen, um sich so sicherer zu fühlen, so führen diese eher dazu, Stereotype zu festigen, wie dieses Beispiel eindringlich zeigt.

Sensibilisierung, Schärfung der Wahrnehmung und Reflektion wirken nachhaltiger und schaffen die Offenheit, die es im interkulturellen Kontext und einem agilen System braucht.

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  • zur Autorin…
  • Annelie Tattenberg war viele Jahre in verschiedenen Bereichen der Bayer AG tätig, unter anderem im Personalbereich. Sie lebte viele Jahre in Budapest, wo sie sich ersten interkulturellen Projekten widmete. Heute arbeitet sie als zertifizierte Trainerin, Beraterin und Coach für interkulturelle Kompetenz, Personal Coach, Konfliktberaterin, Lehrbeauftragte und Autorin.
  • www.tattenberg-interkulturell.de

Bildnachweis: : Annelie Tattenberg - Patrícia Verbőci; pixabay.com / teamwork

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