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Weiterbildungsszene Deutschland

Weiterbildung unter Zeitdruck

Jürgen Graf

Immer schneller und immer kürzer soll es gehen – für Weiterbildung ist eigentlich keine Zeit. Die schwierigen Rahmenbedingungen haben die Weiterbildungsbranche in den vergangenen Jahren fast stärker geprägt als die eigentlichen Inhalte. Eine unabänderliche Entwicklung?

„Lange Seminare und Tagungen ziehen nicht solche Teilnehmer an, die das Wissen brauchen, sondern solche, die Zeit haben.” Dieses leicht ketzerische Zitat stammt von Casey Kelbaugh, der mit der sogenannten Slideluck-Potshow eines der gegenwärtig im Trend liegenden Kurzzeittrainingsformate entwickelt hat. Damit trommelt er natürlich nicht ganz uneigennützig in eigener Sache, dennoch kommt man kaum daran vorbei, ihm recht zu geben. Unwillkürlich denkt man an das staatliche Maßnahmenpaket zur Finanzkrise, zu dem es auch gehörte, den massiven Anstieg der Kurzarbeit für Qualifizierungsmaßnahmen der Mitarbeiter zu nutzen. Dagegen ist gar nichts einzuwenden, spannend (und problematisch) für Weiterbildungsanbieter ist indes der Umkehrschluss: Diejenigen Mitarbeiter, die im Tagesgeschäft unabkömmlich sind, brauchen eigentlich am nötigsten Weiterbildung.

Mangel an Zeit verhindert notwendige Weiterbildung und Qualifizierung

Und so ist nicht nur der – meist konjunkturbedingte – Mangel an Geld, sondern der grundsätzliche Mangel an Zeit, der notwendige Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen gerade der Leistungsträger eines Betriebes verhindert. Hinsichtlich der Organisation und operativen Abwicklung von Qualifizierungsmaßnahmen spüren Weiterbildungsanbieter diese Entwicklung schon längst. Die stetige Verkürzung der Schulungs- bzw. Seminardauer zählt zu einer der wenigen verlässlichen Konstanten im ansonsten schnelllebigen Weiterbildungsmarkt, wie die Langzeitauswertung der jährlichen Trendanalyse des Verlags managerSeminare belegt (siehe Abb. 1). Gerade einmal drei Prozent der befragten Trainer und Weiterbildungsinstitute vermögen gegenwärtig noch eine Erhöhung des für Trainings und Schulungen zur Verfügung stehenden Zeitbudgets zu erkennen. Krisen wie das Platzen der New-Economy- sowie der Immobilien-Blase in den Jahren 2001 und 2008 beschleunigten diese Entwicklung noch. Doch auch jenseits aller aktuellen Krisenszenarien sorgt bereits die zunehmende Arbeitsverdichtung im Tagesgeschäft dafür, dass Unternehmen und Teilnehmer nach kurzen Weiterbildungsformaten und komprimierter Lernstoffvermittlung verlangen.

Abb. 1

Anteil von „Trainingshäppchen” und kurzen Lerneinheiten nimmt zu

Betrachtet man die Anteile an Ein-, Zwei- bzw. Mehr-Tages-Seminaren, die Trainer konzipieren und durchführen, so findet sich dieser Wunsch zur Kürze bestätigt (siehe Abb. 2). Der Anteil von „Trainingshäppchen” und kurzen Lerneinheiten von maximal einem Tag Dauer nimmt langfristig zu. Rund 37 Prozent der von Trainern durchgeführten Maßnahmen sind auf maximal einen Tag angesetzt. Zwei-Tages-Seminare stellen seit 2002 das größte Kontingent der durchgeführten Schulungen und Trainings. Weiterbildungsmaßnahmen, die auf drei und mehr Tage angelegt sind, gewinnen seit 2008 wieder an Boden, wozu wesentlich die eingangs erwähnten staatlichen Fördermaßnahmen beigetragen haben. Festzuhalten bleibt dennoch: Innerhalb von zehn Jahren ist der Anteil von drei- und mehrtägigen Seminaren von 40 Prozent auf 25 Prozent gesunken.

Abb. 2

Alternative Formate, selektive Teilnehmerauswahl, E-Learning

Folglich setzen die Unternehmen bei personal- wie zeitintensiven Weiterbildungsmaßnahmen verstärkt auf alternative Formate jenseits des Seminars, die im Optimal-Fall unmittelbar am Arbeitsplatz durchgeführt werden können. Zum anderen tritt an die Stelle des viel kritisierten „Gießkannenprinzips” eine wesentlich selektivere Auswahl der Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen. In den Genuss von Weiterbildung kommen somit weniger Mitarbeiter. Die in der Trendanalyse seitens der Unternehmen geäußerten Statements sind eindeutig: „mehr individuelle Beratung, Coaching, Workshops mit Einzelpersonen und Teams”, „deutlich größerer Einsatz von E-Learning” auch im Rahmen von Coaching-Maßnahmen, Konzentration auf „Zielgruppenprogramme für Korridorthemen” sowie „modulares Lernen” mit „zielgerichteter, punktueller externer Begleitung unter Einbeziehung der Führungskräfte”. Oder im Umkehrschluss: noch weniger Seminare und Trainings klassischer Prägung.

Auch hier unterstützt der Langzeittrend die Aussagen (siehe Abb. 3): Die Unternehmen reagierten nach Einsetzen der Finanzkrise unmittelbar und fuhren ihre Seminartage in 2008 drastisch herunter: Ein knappes Drittel der befragten Unternehmen reduzierten ihre Seminartage gegenüber dem Vorjahr, bei 44 Prozent blieben sie unverändert, 24 Prozent erhöhten sie. Noch wichtiger aber: Der Anteil der Unternehmen, die ihre Seminartage im Vergleich zum Vorjahr aufstockten, weist seit Beginn der Erhebung im Jahr 1995 kontinuierlich nach unten. Lediglich im Jahr 2005 ist ein Nachholbedarf erkennbar, der mit der langen Konjunkturdelle, die sich dem Krisen-Jahr 2001 anschloss, erklärbar ist.

Abb. 3

Unternehmen offen für Gesundheitsmanagement und Stressbewältigung

Jeder Trainer mit ein wenig Erfahrung weiß es: Die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Weiterbildung organisieren und abwickeln, sagt eine Menge darüber aus, was in dem jeweiligen Unternehmen gut oder auch weniger gut läuft. Der offenbar unablässig steigende Zeitdruck hat nicht nur die äußeren Rahmenbedingungen der betrieblichen Weiterbildung in der vergangenen Dekade verändert. Zunehmend kommt er auch inhaltlich zur Sprache, wird von den Teilnehmern im Training oder Workshop artikuliert und thematisiert. So zeigen die zurzeit ausgewerteten aktuellen Daten der diesjährigen Erhebung, dass die Unternehmen dem Thema Gesundheitsmanagement und Stressbewältigung deutlich aufgeschlossener gegenüberstehen, als noch vor wenigen Jahren. Entschleunigung und Entspannung zu lernen scheint angesichts der oben geschilderten Entwicklungen auch dringend nötig. Und damit würde dann doch wieder über die Inhalte geredet.

Autor:

Jürgen Graf, Jg. 1966, arbeitet seit 1990 als Redakteur und Lektor bei der managerSeminare Verlags GmbH, Bonn, und ist Herausgeber des Jahrbuchs „Seminare” sowie Autor der „Weiterbildungsszene Deutschland”.

Kontakt:

managerSeminare Verlags GmbH
Jürgen Graf
Endenicher Straße 41
D-53115 Bonn
Tel.: 0228/97791-25
Fax: 0228/97791-99
juergen.graf@managerseminare.de


Literaturtipp:

Jürgen Graf
Weiterbildungsszene Deutschland 2010
146 Seiten
99,90 EUR
Verlag managerSeminare
ISBN 978-3-941965-04-1
www.managerseminare.de/tb/tb-8022

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