katrin seifert Katrin Seifert

Erfahrungsbericht

Vom Kunststudium zum Anti-Mobbing-Club in Prag

Katrin Seifert

Ein Praktikum hatte mich nach Prag geführt. Ja, tatsächlich ein Kunst-Praktikum. Dass ich zurzeit meinen Lebenswunsch, Kunst zu studieren, verwirkliche, ist ja vielleicht schon bekannt. Aber dass ich mich zwei Jahre vorher bereits zur Kunsttherapeutin habe ausbilden lassen, vielleicht nicht.

Jedenfalls bin ich vor gut einem Jahr über eine TTD-Kollegin auf eine Kontaktsuche eines tschechischen (richtigerweise: slowakischen in Prag arbeitenden) Kollegen angesprochen worden. Er suchte deutsche Kunsttherapeuten, die mit Mobbingopfern zu tun hatten.

Ja, ich bin Kunsttherapeutin und arbeite vor allem im Coaching oder Training mit Kunsttherapie. Mobbingopfer habe ich da weniger. Aber in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit spielt Mobbing eine große Rolle. Insofern kann ich auch dort mit Erfahrungen aufwarten. Aber ich kann vielleicht den tschechischen Kollegen mit anderen Kunsttherapeuten in Kontakt bringen. So war mein Ziel.

Also nahm ich zu Dr. Pavel Beno, Psychologe in Prag, Kontakt auf. Wir tauschten uns ein paar Mal aus. Er leitete in Prag den Anti-Mobbing-Club, in dem sich Therapeuten, Berater, Wissenschaftler mit Gemobbten und Whistleblower trafen und über deren Probleme austauschten.

Dr. Beno wollte immer meine Website verknüpfen. Aber ich hatte ja nicht das Richtige zu bieten. So blieben wir lose in Kontakt.

Als sich nun Ende April 2015 die Möglichkeit zur Teilnahme am Kunst-Praktikum in Prag ergab, frischte ich den losen Kontakt zu Dr. Beno auf und schlug ihm vor, dass wir uns mal persönlich kennen lernen. Mein Kopf war natürlich von Kunst voll. Auch benötigte ich in den ersten Tagen erst einmal Zeit, um in Tuchfühlung mit der fremden Stadt und auch der anderen Kultur zu kommen. Und was für eine Stadt! Sie brauchte nicht lange, um mich in ihren goldenen Fängen zu halten.

Ein folgenreiches Treffen

Als ich mich dann Montagabend mit Dr. Beno am Goethe-Institut an der Moldau traf erzählte er mir umgehend von seinem Projekt, dem Anti-Mobbing-Club (AMC). Eigentlich wollten wir uns mit Kolleginnen treffen. Aber eine davon war krank geworden, so dass das Treffen ausfiel. Aber, ob ich morgen nicht für sie im AMC einspringen könnte? Ich?! Wie denn? Mit Tschechisch? Das kann ich nicht. Und überhaupt: Er konnte mir nicht sagen, ob der AMC morgen stattfinden wird, da er ja abgesagt worden war. Jedoch wurde allen angeboten, trotzdem kommen zu können, wenn Bedarf und Verlangen danach war. Wir wussten also überhaupt nicht: a) Kommen welche? b) Wenn ja, wie viele? und c) Kommen eher Berater oder auch Betroffene? "Das sind ja super Voraussetzungen!", dachte ich. "Außerdem bin ich ja hier wegen der Kunst und nicht wegen Kunsttherapie/Workshop. Ich habe doch ganz andere Dinge zu tun: Ich soll die Stadt zeichnerisch und malerisch erfassen. Das benötigt Zeit."

Aber Dr. Beno hatte mein Helfersyndrom angepiekt. Und außerdem war da ja noch die „Trainings-Expertin“ in mir. Hier wurde Hilfe gesucht und einer unbekannten Expertin vertraut. Das klang auch nach Abenteuer. Und das mag ich immer noch. Mein Gehirn sprang sofort an und zog aus meinem Methodenkoffer die und die Übung. "Und dann könnten wir doch auch noch…? Aber Halt! Wer ist denn nun die Zielgruppe? Opfer oder Berater?" "Beide!", war die Antwort. Na toll! – Die Opfer brauchen Unterstützung, um aus ihrem Gedankenkarussell rauszukommen und die Berater Methoden für ihren Einsatzkoffer. Und das soll ich als deutsche Kunsttherapeutin und Trainerin wie auch Coach so einfach mal aus dem Ärmel schütteln? – "Ja!" Außerdem müsste ich - wie alle - zur Dokumentation mit Kamera in Bild und Ton bereit sein.

Pavel Beno hat, wie ich später erfuhr, auch Dokumentation studiert. Da die Teilnahme am Anti-Mobbing-Club kostenlos ist, wird aber im Gegenzug um diese Aufzeichnungsmöglichkeit für wissenschaftliche Zwecke gebeten.

"Sie können ja noch bei einem Pivo (Bier) überlegen", stimmte er mich versöhnlich und zog mit mir ins „U Fleku“, einer berühmten Schwarzbierkneipe nahe der Moldau. Hmm, das Bier schmeckte immer noch so gut. Allerdings war es in diesen frühen Abendstunden noch erstaunlich leer…

Wir quatschten, tauschten uns aus, und Pavel Beno kam mit einer weiteren Idee: "Was halten Sie davon, wenn Sie mir als deutsche Kunsttherapeutin im Interview zur Verfügung stünden?" Nun haute es mich völlig um: "Was?! Nee, das geht nun wirklich zu weit. Ich bin doch nicht die Expertin, sondern verknüpfe das eine Wissen mit dem anderen und versuche daraus was „zu stricken“, relativ aus dem Kalten heraus." "Aha, Sie werden uns morgen also unterstützen?" Boa, da hatte er mich aber in die Ecke gedrängt! Längst schon filterte mein Gehirn alle möglichen Übungen auf Tauglichkeit.

"Aber ich bin doch hier, um zu zeichnen, und nicht, um kunsttherapeutisch zu arbeiten!" wehrte ich erneut ab, aber schon schwächer. "Dafür führe ich Sie am Donnerstag, wohin Sie wollen und zeige Ihnen schöne Ecken, wo Sie zeichnen können." Aha, er weiß schon, dass ich auch Verpflichtungen habe…

Am Ende trennten wir uns mit einer Verabredung zum nächsten Tag. Zum Interview hatte ich noch nicht „Ja“ gesagt. Ich wollte erstmal den Dienstag abwarten.

Mit Kunsttherapie beim Anti-Mobbing-Club Prag

 Zum Video mit Eindrücken vom AMC Prag

Bis zum AMC hatte ich mir zwei Übungen ausgedacht: Die eine wäre eine Kontaktübung, die andere eine lösungsorientierte Übung. Dr. Beno hatte A3-Blätter und Buntstifte mitgebracht. Er war auch ganz gespannt, wie ich die Situation meistern würde.

Meine Übungen

 

Zur Kontaktübung „Situationssymbol“: Wenn Sie an sich als Mobbingopfer oder als deren Berater in dieser Runde denken, wie geht es Ihnen dann? Versuchen Sie diesem Gefühl ein Symbol zu geben. Dieses kann auch aus mehreren Teilen bestehen, sollte aber möglichst auf Worte verzichten. (10-15 min) Dann je nach Gruppengröße Austausch im Plenum darüber oder in Kleingruppen.

Zur Lösungsübung „Triptychon“: Jeder Teilnehmer erhält drei Blätter. 1. Runde: Bitte denken Sie an eine problematische Situation und erfassen diese in Farben und Formen. Sie können flächig malen oder nur partiell. Es geht mehr um Ihre inneren Gefühle dazu als das ein „richtiges Bild“ entsteht. Nur Sie müssen verstehen, was Sie gemalt haben. Sie brauchen sich auch hinterher nicht zu offenbaren, wenn Sie es nicht möchten. („Einen Designerpreis gibt es nicht.“ Das sage ich immer, um den Druck rauszunehmen, jetzt malen zu müssen.) – Runde 2: Bitte malen Sie jetzt mit der gleichen Methode die Situation, als wenn alles gut wäre, also so, wie Sie die Situation sich wünschen. (je 10 min, auf den Stand der Arbeiten achten.) Falls jemand sehr fix ist, kann man sagen: Wenn Sie jetzt auf Ihr Bild gucken: Welche Farbe fehlt da noch? Oder: Welche Stelle möchte noch gefüllt werden? – Runde 3 (je nach Zeitfonds): Tauschen Sie sich mit dem Partner (oder in der großen Runde) über Ihre Malerlebnisse aus. Schauen Sie, ob es parallele Farben oder Flächen/Symbole gibt. Darin liegt Ihr Potenzial. Hören Sie einander zu. Nach Absprache können Sie Ideen oder Fragen, die Ihnen zum Partner entstehen, auch äußern. (10-15 min) – Runde 4: Malen Sie jetzt den Weg auf das 3. Blatt, um von der schwierigen Situation zur Wunsch-Situation zu kommen. (10-15 min) – Runde 5: Plenum: Wer hat das Bedürfnis, sich zu äußern bzw. etwas los zu werden? (je nach Persönlichkeitstypen braucht es Anlaufzeit; Zeitfonds nach Gegebenheit).

Dann trafen wir in der privaten tschechischen Universität, der Univerzita Jana Amose Komenského Praha (Comenius  
University Prague), ein. Die erste Kollegin, die ich begrüßte, konnte deutsch. Die zweite, die hinter der Kamera stand, etwas. Ich war erleichtert.

Wir stellten zuerst die Tische um. Ich schlug vor, um schon eine Gemeinsamkeit herzustellen, die Tische diesmal zusammen zu stellen. Wir fingen vorsichtig an. Denn niemand wusste, ob überhaupt Teilnehmer kämen. Dann ging die Tür auf: Die erste kam herein. Wenig später folgte der zweite. Dann kam ein Pärchen usw. Am Ende mussten wir weitere Tische ran stellen. Wir waren 14 Personen geworden! Die Kameras, die der abgesprochenen Dokumentation dienten, erhielten neue Plätze.

Alle guckten neugierig, wer denn diese Frau sei. Ich wusste auch nicht so richtig, wohin mit mir, da ich ja kein Tschechisch konnte. Ich war auf Dr. Beno und seine Kollegin angewiesen. Dr. Beno harte mal 1,5 Jahre in Deutschland studiert und daher seine Deutschkenntnisse.

Ich bat darum, dass wir eine kurze Vorstellungsrunde machen, um zu wissen, wer mit am Tisch saß. Diese war sehr nützlich für mich. So erfuhr ich, dass ca. 60% der Anwesenden professionell bedingt dabei waren. Der Rest hatte von Mobbingerfahrungen zu berichten. Bei letzteren war die Not spürbar. Auch ich stellte mich vor und schnitt kurz an, was ich für Übungen mitgebracht hatte: eine Kontakt- und eine Lösungsübung. Bei letzterer nickten die Betroffenen intensiver, registrierte ich.

Da Dr. Beno zuerst eine Theorierunde zu wertschätzender Beratung durchführte, entschloss ich mich, auf Übung 1 zu verzichten und nur die Übung 2 durchzuführen. Als ich merkte, dass die Betroffenen mit der Theorie nicht so viel anfangen konnten, bot ich noch ein Stück Wissen aus meiner Arbeit mit Mobbingopfern an. Dies wurde freudig und neugierig angenommen. So erklärte ich, dass wir in Mobbingsituationen immer drei Parteien haben: Opfer – Täter – und Personalverantwortlicher (also Arbeitgeber oder Lehrer des Gemobbten) und dass wir den Personalverantwortlichen beim Worte nehmen und also in der Verantwortung sehen. Deswegen müsse er so auch angesprochen bzw. auch in dieser Rolle gestärkt werden. Die Polizei geht in Deutschland z.B. in die Schulen, um Schüler und Lehrer zu sensibilisieren. Und ich bestärkte die Opfer, sich schnell mit ihrer Not zu offenbaren, so schnell wie möglich, da die Täter „ansteckend“ wirken und meistens weitere Personen in den Täterkreis hineinziehen. Erst ist es nur ein Scherz und gar nicht so gemeint bzw. in seiner Wirkung nicht bewusst. Das kann aber schnell umschlagen, und die Täter ziehen daraus ihre Rang-Vorteile.

Bevor ich dann zur kunsttherapeutischen Übung kam, wollte ich als Brücke vom Kopf in den Bauch eine Meditation nutzen. Aber wie sollte ich diese anführen, wenn ich kein Tschechisch konnte? Hier kam es doch speziell auf eine ruhige Stimme und den Fluss, um sich voll auf sein Inneres konzentrieren zu können, an. Also bat ich eine junge Psychologin, Alicia, ob sie für mich in Vertretung die Meditation sprechen könne. Erstaunt nahm sie an. Und das positive Feedback war ihr später sicher.

Die Sprache bildete für mich eine Barriere, die ich irgendwie auflösen musste. Denn wie konnte ich Knoten auflösen helfen oder motivieren, ohne die Sprache? Dr. Beno und meine nette Dolmetscherin halfen mir dabei, meine Intensionen auf Tschechisch an die Leute heran zu bringen. Die Zeit reichte kaum.

Alle waren intensiv dabei. Impressionen von diesem kleinen Workshop können Sie auf dem Video (oben) und auf YouTube ansehen.

Nach dem Ende war unser Verhältnis deutlich vertraulicher. Ich hätte gern mit dem einen oder der anderen ein Wort gewechselt. Aber auch so traten die Teilnehmer an mich heran und dankten mir. Selbst meine Dolmetscherin, die jetzt nicht Betroffene war, aber auch ein Thema für sich zum Bearbeiten gewählt hatte, meinte erstaunt: "Es wirkt! Ich habe es total gespürt! Danke für diese Erfahrung!"

Zu viert beschlossen wir den Abend noch nett in einem kleinen Restaurant. Ich war froh, ins kalte Wasser gesprungen zu sein und so meine erste Auslandserfahrung – und noch dazu mit Kunsttherapie! – gemacht zu haben.

Das Interview

Am Mittwoch erreichte mich eine lange eMail von Pavel. Inzwischen waren wir beim Du. Diese eMail endete mit: „PS: Es ist mir vor Dir schon peinlich, aber ich kann die Idee über unser Videointerview nicht loswerden ... Meine Frage an Dich also lautet: Könntest Du Dir ein Interview vorstellen (Ein Event in Prag?), das Du auch für Deine Webseiten nutzen könntest, z.B. wo Du über Deine Gefühle und Gedanken im Kontext der gestrigen Ereignisse sprechen konntest? Über das Potenzial der Kunsttherapie allgemein oder sogar in der Anti-Mobbing-Beratung. (Das Wort Mobbing bzw. Antimobbing - wenn es Dich stört ist aber nicht so wichtig!)“ Ich musste lachen. Er gab nicht auf.

Am Donnerstag hatten wir uns für eine Führung durch Praha-Zizkov verabredet. Aber erst drehte er das Interview. Pavel hatte auch etwas mit Filmen gelernt. Dadurch war er so Video-affin!

Das Interview ist ebenfalls auf YouTube zu sehen.

Ich berichtete über meine Eindrücke im Anti-Mobbing-Club, wurde über wachsende Mobbingfälle in Deutschland befragt, schaute in die Zukunft. Das Interview machte Spaß.

Hinterher zeigte Pavel mir Zizkov mit seinem berühmten Friedhof und dem „Perückenpark“. Hier konnte ich endlich zeichnen.Blick von Parkanlage Parukarka 150507

Jeden Tag mindestens eine Skizze. Das hatte ich mir vorgenommen. Bei schönem Wetter und einem Pivo konnten mehrere Skizzen meinen Stiften entspringen.

Ich bin dankbar, Dr. Pavel Beno kennen gelernt und solch ein Vertrauen erfahren zu haben. Ich freue mich, dass ich etwas helfen konnte und hoffe, dass dieser Kontakt anhalten wird.

Jetzt erst, so habe ich traurig erfahren, mangelt es dem Anti-Mobbing-Club an finanzieller Unterstützung. So dass er Anfang Juni seine Pforten schloss. Dies ist wirklich sehr schade. Dr. Beno hat den AMC ehrenamtlich geleitet. Er ist bereits pensioniert und gibt an der privaten Uni jedoch noch Kurse zum Thema Mobbing. Ich finde sein Engagement bewundernswert!

Katrin Seifert

PS: Inzwischen hat Dr. Beno die damaligen Eindrücke in einer weiteren Website verarbeitet.

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