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Konsensieren im öffentlichen Leben

Synergien sind tragfähiger als gute Kompromisse

Interview von Josef Maiwald mit Dr. Linus Strothmann

Das Systemische Konsensieren (SK) ist eine sehr mächtige Methode, mit deren Hilfe man strukturiert Lösungen auch zu komplexen und schwierigen Fragestellungen und Problemen erarbeiten und die Akzeptanz für jede Lösung ermitteln kann. Damit wissen Entscheidungsträger bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung, ob eine Entscheidung akzeptiert ist oder er-hebliches Konfliktpotenzial in sich birgt. SK lässt sich mit vielen bewährten methodischen Ansätzen kombinieren und passt daher gut in bewährte Strukturen. Die Vorteile sind aber: SK führt in einem strukturierten Prozess zu innovativeren und trag-fähigeren Lösungen.

Josef Maiwald: Das Thema Bürgerbeteiligung scheint an Bedeutung zu gewinnen. Ist das ein Modehype oder ein künftiges Muss – was antworten Sie Skeptikern?

Dr. Linus Strothmann: Es ist beides. Auf der einen Seite ist es richtig, dass das Thema Bürgerbeteiligung einen gewissen Hype aufweist. Immer wieder wird zum Beispiel generell mehr Bürgerbeteiligung gefordert, ohne dass klar ist, wofür eigentlich und was ist das Ziel ist? Dabei ist gerade auf der kommunalen Ebene oft der Kontakt zwischen ehrenamtlichen Politikern und den Einwohnern einer Stadt relativ eng und gut. Da fragen sich Kommunalpolitiker dann schon auch mal, warum es nun ein komplexes Bürgerbeteiligungsverfahren, oft verbunden mit hohen Kosten für externe Dienstleister, braucht, wenn sie doch eigentlich schon Einwohnersprechstunden, offene Fraktionssitzungen und viele Gespräche „auf der Straße“ anbieten. Hinzu kommt, dass die formelle Bürgerbeteiligung zum Beispiel bei allen Bebauungsplänen seit Jahrzehnten existiert.

Auf der anderen Seite muss man aber auch betonen, dass die Vergangenheit gezeigt hat, dass gerade große Bauvorhaben, Standortentscheidungen und Entwicklungskonzepte ohne Bürgerbeteiligung meist dazu führen, dass dann in einem späten Stadium der Planung die Menschen auf die Barrikaden gehen. Eine frühzeitige Bürgerbeteiligung macht Planungen nicht komplizierter, sondern letzten Endes einfacher. Und oft haben die Menschen auch wirklich gute Ideen.

Welche Themen sind besonders geeignet?

Im Normalfall wählen wir ein politisches Gremium für vier Jahre und wissen durch Wahlprogramme auch, wer für welche Inhalte steht (so die Theorie). Bürgerbeteiligung ist vor allem bei solchen Themen sinnvoll, die entweder einen Zeithorizont haben der weit über eine Legislaturperiode hinausgeht, z.B. der Bau neuer Infrastruktur oder Stadtentwicklungskonzepte, zum anderen bei Themen, wo nicht klar ist, wie die Einwohnerschaft dazu steht, weil es im Wahlkampf vielleicht keine Rolle gespielt hat. Geeignet sind grundsätzlich Themen, bei der die Gemeinde handlungsbefugt ist und Entscheidungsspielräume hat und die eine gewisse Bedeutung für die Gemeinde als Ganzes
oder zumindest für einen Teilbereich haben.

Beachten muss man aber immer, dass ein gutes Beteiligungsverfahren zuvor mit den Entscheidungsträgern abgestimmt wurde. Nur wenn die Entscheidungsträger sich z.B. grundsätzlich 5 Standorte für ein neues Freibad vorstellen können, macht es Sinn auch zu allen 5 Standorten mit Einwohnern zu diskutieren. Gibt es seitens der Entscheidungsträger bei einem Thema keine Ergebnisoffenheit, dann sollte man sich die Beteiligung vielleicht lieber sparen.

Gibt es Themen, die grade für den Start besonders geeignet sind?

Meist hat man nicht den Luxus sich „für den Start“ ein Thema auszuwählen, sondern der Schrei nach systematischer Bürgerbeteiligung kommt bei konkreten Vorhaben. Wenn man den Luxus hat und eine Art „Neustart Bürgerbeteiligung“ vorhat, dann bietet es sich an, sich zunächst einmal mit der Bürgerbeteiligung selbst zu beschäftigen. Was versteht man darunter? Wie kann man die Repräsentative Demokratie durch Bürgerbeteiligung stärken? Wie bringen wir mehr Menschen in den normalen politischen Prozess? Wenn man diese Fragen mit Verwaltung, Politik und Bürgerschaft diskutiert, schafft man eine gemeinsame Basis dafür, dass Bürgerbeteiligung bei zukünftigen Vorhaben gelingt. Diese Prozesse fasst man meist als Leitlinienentwicklung zusammen.

Welche Themen haben Sie schon bearbeitet?

Integriertes Stadtentwicklungskonzept, Verkehrsentwicklungskonzept, Parkraumkonzept, Standort für ein Hallenbad, Ausstattungsmerkmale des Hallenbads, Stadtspaziergänge, Nahverkehrsangebote, inklusiver Teilhabeplan, Bibliothekserweiterung u.v.m.

Welche Methoden wenden Sie am häufigsten an?

Ich unterscheide zwischen Verfahren und Methode. Sehr erfolgreich haben wir ein Verfahren immer wieder angewendet, das ich als zweifache Beteiligung bezeichnen würde. Dabei bereiten wir einen Workshop zu einem Thema, beispielsweise zum Parkraumkonzept, mit Planern und Verwaltungsmitarbeitern vor und führen diesen Workshop dann zweimal durch. Einmal laden wir offen ein und versuchen möglichst viele Einwohner, Vereine, Initiativen und die Politik einzubeziehen. Auch mit hohem Aufwand kann man bei solchen Veranstaltungen nicht verhindern, dass sich meist doch eine recht homogene Gruppe zusammenfindet, die die Gesamtgesellschaft nur sehr schlecht widerspiegelt. In dem zweiten Workshop wählen wir daher Personen in einer geschichteten Zufallsauswahl aus dem Melderegister aus. Ich verwende dann viel Zeit darauf, diese Personen davon zu überzeugen auch zu kommen, um so auch die Menschen in den Prozess zu integrieren, die sonst fernbleiben würden. Mit dieser Art „Kontrollgruppe“ bekommen wir nicht nur repräsentativere Ergebnisse, sondern oft auch eine wesentlich stärkere Meinungsvielfalt.

Was die Methoden angeht, kann man nicht eine aussuchen, die besonders geeignet ist. Es gibt aber ein paar wichtige Grundsätze, die sich bewährt haben: 1. In Kleingruppen diskutieren und arbeiten, trotzdem auch in der Gesamtgruppe die Ergebnisse nochmal zusammentragen. 2. In Kleingruppen zunächst einmal der Reihe nach alle zu Wort kommen lassen, ehe man die Diskussion öffnet. 3.

Bewährt hat sich eine Dreiteilung: 1 Teil Information, 2 Teile Beteiligung mit zwei verschiedenen Methoden. Dabei gehe ich oft so vor, dass die erste Methode eher versucht Meinungen abzubilden, zu sammeln, z.B. auf Zetteln und dann darüber zu diskutieren was ist Konsens, wo ist der größte Dissens und letzten Endes auch Vorschläge zu erarbeiten. Die zweite Methode dient dann meist dem Zweck wieder zurück zu einer Gesamteinschätzung zu kommen, z.B. über Methoden zur Priorisierung, Aufstellungen zu Varianten usw.

Wie Sie schon merken, ähnelt das dem Ablauf beim systemischen Konsensieren, mit Vorschlagsphase und Bewertungsphase. Daher halte ich die Methode auch für Beteiligungsveranstaltungen für so gut geeignet. Man braucht halt beides: Das Arbeiten an Vorschlägen und die Bewertung dieser. Das systemische Konsensieren hat dabei auch den großen Vorteil, dass es in der kurzen Zeit die oft zur Verfügung steht, trotzdem zu Ergebnissen führt an denen alle gleichermaßen teilhaben konnten. Und es ist auch mit sehr großen Gruppen noch möglich.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Stolpersteine?

  1. Zu glauben es gibt kein win/win, sondern irgendjemand muss ja verlieren.
  2. Beteiligen wo eigentlich gar keine Spielräume da sind.
  3. Nicht klar kommunizieren, dass die Entscheidung beim gewählten Gremium bleibt
  4. Die Verwaltung und Politik nicht von Anfang an mit einbinden.
  5. So zu tun als gab es bisher keine Bürgerbeteiligung. Es ist ganz wichtig, auch wenn auf den ersten Blick in dieser Richtung nichts passiert ist, nochmal genauer hinzusehen. Meist stellt sich raus: Es gab schon Versammlungen, Befragungen etc. und somit gibt es auch schon Erfahrungen.
  6. Zu denken, man weiß alles. Nichts ist wichtiger als immer wieder Fragen zu stellen, sich zu versichern, dass das Gesagte richtig verstanden wurde und sich einfach eine Neugierde für die Meinung anderer zu bewahren. Und dazu gehört dann auch, alle Veranstaltungen zu evaluieren.

Und was war Ihr persönliches Highlight in Sachen Bürgerbeteiligung?

Oh, da gibt es ein paar. Eines war, als am Ende eines Workshops mit ausgelosten Einwohnern ein Herr zu mir kam und sagte, er sei überrascht, dass seine Meinung ja tatsächlich gefragt war. Ein anderes war, dass ich Menschen, die bei einer Zufallsauswahl dabei gewesen waren und zuvor nie eine Bürgerbeteiligungsveranstaltung besucht hatten, dann im nächsten Verfahren auf einer offenen Veranstaltung gesehen habe. Gerne erinnere ich mich auch an meine erste richtige große Veranstaltung mit fast 200 Personen als es um den Standort für ein Hallenbad ging. Zum Abschluss haben wir eine Aufstellung zu den drei Varianten in der Stadthalle gemacht. Jeder konnte sich im Dreieck der Varianten so aufstellen, wie er zu den Varianten stand. Diese vielen Menschen nach all den Diskussionen ihre Meinung mal mit ihrem Körper zeigen zu sehen und dabei auf einen Blick einen Eindruck zu bekommen, welche Variante vielleicht die beste ist, das war schon beeindruckend.

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