Dr. Claudia Härtl-Kasulke

Unternehmenskultur: Burnout

Dr. Claudia Härtl-Kasulke

Eigentlich beginnt es unspektakulär. Leise. Laue Sommernächte lassen ihn nicht schlafen, stellte Hans Martini fest. Dabei übersah er, dass diese
Nächte Gebetsmühlen begleiteten. Sätze, immer wiederkehrend, endlos. Quälend.

Zweite Stufe: Hans Martini fand sich in Besprechungen, ohne zu wissen, was die letzten Stunden gesprochen worden war. Er ahnte noch, dass er Kommentare abgegeben und Fragen gestellt hatte. Dann entdeckte er Unterschriften auf Dokumenten, die er noch nie gesehen hatte. Glaubte er.

Dritte Stufe: Kontrolle ist alles. Und so begann Hans Martini alle Vorgänge mehrmals in die Hand zu nehmen. Checkte seine Mitarbeiter, wer wohl Unterschriften für ihn platzierte. Und ließ keine Mail länger als eine Minute, nein eine Sekunde ungeöffnet. Der Blackberry wurde sein Lebensbegleiter. Nur dass er den Unterschied nicht mehr wahrnahm.

Vierte Stufe: Nur keine Blöße geben hieß das Programm. Jede Arbeit wurde sofort erledigt, jeder Anruf sofort beantwortet, Dennoch wuchsen die Berge. „Nein“ sagen gab es nicht. Es machte doch Freude, brachte Erfüllung auf diese Weise „gebraucht“ zu werden. Davon war er überzeugt.

Eines Morgens erwachte Hans Martini und er konnte sich an keinen Gedanken erinnern, er war sprachlos geworden…

Wo blieb der Tinitus, von dem alle Kollegen sprachen, bevor sie … Wo war die Depressionen, die doch ein untrügliches Zeichen für Burnout seien… Das wären doch eindeutige Hinweise gewesen.

Potz Blitz! Burnout!?

Eine „Krankheit“? Die Ärzte schütteln den Kopf. Zu unspezifisch ist das Krankheitsbild. Depression ist fassbar, Tinitus hörbar. Für beides gibt es Infusionen oder Tabletten.

Burnout kommt auf höchst unterschiedliche Weise daher. Doch die Zahlen sprechen Bände. „Psychische Belastungen verursachen die längsten Fehlzeiten und sind der häufigste Grund zur Frührente“ (Wissenschaftliches Institut der AOK WIdO).

Genauso wenig wie wir davon sprechen können, dass Burnout-Symptome aus dem Nichts entstehen, sind auch die Zeichen in der Arbeitswelt nicht nur am Horizont sondern bereits eindeutig in der Vergangenheit dokumentiert:

  • 2006 veröffentlichte das Statistische Bundesamt, dass durch die neue Volkskrankheit ein Schaden von 26,7 Milliarden € entstand.
  • 2007 begründete jeder Dritte seinen vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben mit psychischen Erkrankungen.
  • 2010 zeigt die AOK Studie einen neuen Rekordwert. Seelische Störungen liegen an vierter Stelle der Ursachen für eine Erkrankung. Und nicht nur das: Sie sind für ein Viertel aller Erkrankungen, wie Rückenbeschwerden, verantwortlich.

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Grafik Priv.-Doz. Dr. med. Markus Bassler, Chefarzt Rehazentrum Oberharz, Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover

Unter Leistungsdruck am besten?

Oder Frau Hansmann: In der Klinik jagt eine Veränderung die nächste. Erst durch einen Workshop zum Thema „Achtsamkeit“, stellte sie fest: Morgens braucht sie zwei Stunden, bis ihr Blick klar wird. Sie konnte nach dem Aufstehen nicht die Zeitung lesen und erkannte Menschen in ihrer Umgebung nur an ihrem Gang, ihrer Stimme…

Oder Herr Schneider: Er liebte Stress. Die Herausforderungen des Alltags waren für ihn ein Kinderspiel. Bis er eines Morgens aufwachte und sich nicht mehr rühren konnte. Ein Jahr dauerte es, bis die Ärzte erkannten, dass es kein Schlaganfall sondern eine fortschreitende Muskelverspannung war, die ihn bewegungsunfähig gemacht hatte.

Kurz und Gut: Nicht bei Uns!

Ein Perspektivenwechsel… wir haben ausschließlich engagierte und motivierte Mitarbeiter. Unsere Atmosphäre ist freudvoll. Wir entdecken jeden Tag unseren Teamgeist neu. Finden Lösungen, die uns am Markt einzigartig dastehen lassen. Jeder von uns trägt dazu bei. Und natürlich gehört dazu auch, dass wir nach der offiziellen Arbeitszeit erreichbar sind. Unser Kunde wartet nicht. Urlaub – es ist doch eine Kleinigkeit mal die Mails anzu­sehen oder kurz die nächste Kampagne abzustimmen. Der Griff zum iPhone, dem geliebten Blackberry liegt so nah… Erreichbarkeit ist nicht nur die Devise. Wir leben sie auch.

Der Arbeitnehmer ist Hochleistungsfaktor. „Morbus Blackberry“ titelt die Süddeutsche. Und stellt fest, dass uns heute weniger die Sorge treibt, wie es dem kranken Kollegen geht, sondern vielmehr wie das anfallende Arbeitspensum noch zusätzlich geleistet werden kann.

Diese rund-um-die-Uhr Erreichbarkeit und das Entgrenzen der Arbeit schreitet mehr und mehr mit dem Verlust des sozialen privaten Netzes einher. Familien teilen sich die Eltern auch in deren Freizeit mit dem Unternehmen. Und die Kinder finden meist in den vermeintlichen Pausen einen nicht mehr ansprechbaren Vater oder eine Mutter, die auf Sparflamme schaltet, weil einfach das Pensum Familie und Beruf nicht mehr leistbar ist.

Dürfen wir uns solch eine Arbeitskultur leisten? Und verstärkt sollten wir uns die Frage stellen, wenn wir an unsere
älter werdende Gesellschaft denken. Kreativität, Einsatzbereitschaft der Arbeitnehmer ist der Motor unserer Arbeitswelt. Doch was tun, wenn die Menschen von dem „Zuviel“ daran erkranken?

„Nur wer einmal entflammt war, kann auch ausbrennen“

Obwohl wir in der schlimmsten Rezession seit Gründung der Bundesrepublik stecken, haben die Krankheitszahlen zugenommen. Eine etablierte Regel steht damit Kopf: in wirtschaftlich schlechten Zeiten sinkt normalerweise der Krankenstand.

Jeden kann es treffen. Seelische Erkrankungen wie Burnout machen weder vor Führungs­kräften, vor Mitarbeitern oder Arbeitslosen halt. Ein interessantes Phänomen ist, dass es meist die Menschen trifft, wie die Zeit schreibt, die bereits finanziell ausgesorgt haben. Doch sie denken nicht ans Aufhören, ans Zurücktreten, weil es ihnen bei der Arbeit längst nicht mehr ums Geld geht, sondern um Status, Anerkennung, Image. „Arbeitsgesellschaft“ nennen das die Soziologen, wenn der Beruf den Lebens-Wert diktiert und sich Erfüllung und Ansehen ausschließlich durch das Arbeitsleben definiert.

Die Symptome können höchst unterschiedlich sein. Doch lassen Sie uns hier die häufigsten aufführen und uns einen Versuch starten, dies in Phasen einzuteilen.

Erste Phase:

Auffallend ist, dass die Menschen die mit hohem Engagement ihre Ziele verfolgen, keine Pausen machen und auf Entspannungsphasen verzichten, eher zu den Betroffenen gehören. Oft fühlt sich der Arbeitnehmer unentbehrlich und in seiner Arbeit unersetzbar. Das wird verstärkt durch eine Kultur der absoluten Erreichbarkeit, die zusätzlich diese Einschätzung verstärkt.

Zweite Phase:

Der Beruf wird zum vorrangigen Lebensinhalt, soziale Kontakte werden vernachlässigt oder ausschließlich auf Kunden und Kollegen „übertragen“. Eigene Bedürfnisse werden mehr und mehr ignoriert. Hyperaktivität ist angesagt, Misserfolge werden nicht wahrgenommen, eigene Gefühle, Befindlichkeiten, Körperreaktionen ausgeblendet.

Dritte Phase:

Es beginnt meist mit vermeintlich „harmlosen“ Anzeichen.

  • Quälende Grübeleien - Schlaflosigkeit – Erschöpfung.
  • Flüchtigkeitsfehler nehmen zu.
  • Konzentration auf eine Sache wird immer schwieriger.
  • Vergesslichkeit und Aussetzer im Kurzzeit­gedächtnis.
  • Chronische Müdigkeit.
  • Gefühlte Zeitnot und Gehetztheit und sichtbare Nervosität zeigt sich.
  • Die Mimik wird starrer.
  • Eine Arbeit scheint so wichtig wie die andere.
  • Am liebsten würde alles auf ein Mal erledigt. Multitasking ist angesagt.
  • Verringerte Gefühlskontrolle, wie Wutattacken oder Weinkrämpfe bei kleinen Anlässen, sprechen Bände.
  • Ablenkung durch Internet- und Computer­aktivitäten, Alkohol und Rauchen, Essstörungen stehen auf der Tagesordnung.

Vierte Phase

Physische Erkrankungen nehmen zu: Kopfschmerz, Migräne, Schwindel. Schmerzen ohne klare körperliche Ursache zeigen sich.

Auszeiten nehmen zu und vermeintlich banale Anlässe, wie Schnupfen, sind die „Ursache“.

Fünfte Phase:

Depression, Angstzustände, Hörsturz und Tinitus.

Das engagierte Verhalten wird mehr und mehr zum Rückzug. Der Arbeitnehmer verliert Empathie für den Anderen, das Team und interessiert sich nicht mehr für Fragen und Probleme, doch auch nicht für Positives. Kontakte werden vermieden und die Arbeit nur noch durch die schwarze Brille gesehen. Die Wahrnehmung der Umgebung kippt. Die Anderen werden als Belastung wahrgenommen. Es wird keine Anerkennung mehr ge- und erlebt. Im Gegenteil, man fühlt sich bereits bei Kleinigkeiten angegriffen und erfährt alles negativ.

Seelische Störungen ein Stufenplan?

Klar ist, seelische Störungen haben meist ein bestimmtes Klima, eine Kultur in der sie besonders gut gedeihen. Und unsere Arbeitswelt gibt ihr übriges dazu: Verantwortungen werden größer; Veränderungsprozesse immer schneller getaktet. Wissen vervielfältigt sich in ungeahnter Weise, Einflüsse auf die Unternehmensentwicklung sind immer unplanbarer. Die technische Entwicklung unserer Arbeitsinstrumente gibt die Geschwindigkeit und Erreichbarkeit vor. Die Reaktion auf diese Entwicklung ist so individuell wie der Mensch. Das gilt auch für die seelische Störung. Es gibt keinen eindeutigen Krankheitsverlauf und selten eine eineindeutige Krankheit.

Deutlich ist, dass es ein Prozess ist. Phasen können entfallen oder sich verschieben, die Symptome sich verändern, zum Teil oder kaum auf­treten. Klar ist, die Wirklichkeit wird anders wahrgenommen. Wie durch ein Brennglas fokussieren sich die Erfahrungen, die wichtig sind oder meiner Wahrnehmung zu entsprechen scheinen.

Bewusstes, das heißt Handlungen auslösendes und aktives Wahrnehmen findet nicht statt.

Oft gibt es einen „Auslöser“, der das ganze zum Kippen bringt. Eine vermeintlich ungerechtfertigte Äußerung von Kollegen, ein als abweisend wahrgenommener Blick eines Vorgesetzten … sind der Start für die Inaktivität.

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Wehret den Anfängen - Unsere Kultur-Offensive rollt

Was hat das alles mit Unternehmenskultur zu tun? Ist das nicht besser beim Betriebsarzt und der Personalentwicklung untergebracht? Oder im Marketing, wenn Employer Branding Einzug hält, um sich am Arbeitsmarkt gut zu positionieren? Ja, so ist die Tradition.

Unternehmenskultur ist geprägt von Corporate Social Responsibility, Corporate Governance, Corporate Identity, von Gender Mainstream … Programme, um sich wohlfeil zu verhalten.

Doch wer pflegt die Unternehmenskultur, um den wichtigsten „Faktor“ nachhaltig in seiner Arbeitswelt zu unterstützen? Den Menschen?!

Wer verhindert Unternehmenskultur, die zwar das Unternehmenskapital aber nicht das Human Capital fördert? Wie finden wir zu einem ausbalancierten „Sowohl als Auch“?

„Wertschöpfung durch Wertschätzen, denn Vertrauen und ein gutes Arbeitsklima ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen. Viele Manager sehnen sich danach anders zu handeln. Ich möchte sie ermutigen“, schreibt Anselm Grün, der Cellerar, das heißt der Finanzchef des Klosters Münster-Schwarzach und verantwortlich für 20 Betriebe von der Bäckerei bis zum Verlag.

Grosse Veränderungen fangen klein an

Als ich Miriam Meckels Buch „Brief an mein Leben“ in Händen hielt, dachte ich nur „hervor­ragend analytisch herausgearbeitet. So ist es also, wenn ich meinen Verstand walten lasse und meinen Burnout konkretisiere“. Doch als ich dann zu ihrem letzten Kapitel kam und ihren „Brief an mein Leben“ las, bekam ich eine Gänsehaut. Was würde in meinem Brief an mein Leben stehen, wenn ich ihn formuliere? Wie ist es, wenn ich mich diesem Brief aus meiner privaten und aus meiner beruflichen Perspektive als Unternehmenskommunikatorin annähere? Lässt sich das überhaupt trennen?

Wie viele Tage mute ich meinem Leben zu, an denen ich in wahnwitziger Geschwindigkeit viele Arbeiten gleichzeitig unter hohem Zeitdruck erledigte? Und abends kaum die Stunden und ihre Inhalte voneinander unterscheiden kann. Wie viele Gespräche am Telefon, im persönlichen Kontakt, wie viele originelle Mails stehen täglich auf meiner Agenda?

Auch ich schrieb diesen Brief an mein Leben. Ein wichtiges Unterfangen. War es doch ein ganz anderes Innehalten. Es machte mir deutlich, wie groß die Versuchung ist, immer alles zu geben. Wie schwierig es in unserem Beruf ist, Grenzen zu ziehen und „Nein“ zu sagen. Und klar wurde mir, dass mein Leben und meine Lieben auf diese Weise nicht von mir geliebt wurden, eher malträtiert. Und das obwohl – oder gerade weil? - mir mein Beruf unbändig Freude bereitet!

Fernab von Programmen, von Trainings und Seminaren, wie können wir, jeder, jede von uns, hier Zeichen setzen und mit uns persönlich starten? Dabei geht es nicht um kollektives Jammern, sondern um die Chance des besseren Umgangs im berufsbedingten Stress.“ Das sehe ich als Aufgabe der Führungskräfte, der Personalentwicklung und der Unternehmenskommunikation. Das ist ein eindeutiges „Ja“ zum Stufenplan:

Unternehmenskultur wider Burnout.

Und dieses „Ja“ startet mit dem eigenen, persönlichen Schritt.

Literaturtipp

Miriam Meckel: Brief an mein Leben. Erfahrungen mit einem Burnout, Rowohlt 2010

Zur Autorin:

Dr. Claudia Härtl-Kasulke arbeitet seit 30 Jahren in der Weiterbildung. Mit bk+k Beratung Kultur + Kommunikation, Dietzenbach-Frankfurt/M. – Berlin  startete sie 1991 in die Selb-ständigkeit und begleitet seitdem mit ihrem Team Menschen in Unternehmen in unterschiedlichen Ver-änderungsprozessen: Von der strategischen Beratung bis zur Umsetzung.  Das Entwickeln von Methoden, um die Teilnehmer mit Freude und Leichtigkeit im Lernen zu begleiten zeigte sich schon bald als eine besondere Ambition. Ein zweites Hobby ist das Schreiben. Ihre Lieblingsthemen sind: Dialog mit Kunden und Mitarbeitern, Zielgruppenkommunikati-on, wie 50 Plus und natürlich Lernstrategien. Kompe-tenzbereich u.a.: Betriebliches Gesundheitsmanage-ment und Generationenmanagement / Demografie.

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