Ralf Besser Ralf Besser

Die Bedeutung der Reflexion

Ralf Besser

Ein Beispiel: Ich war auf einem Frauentag als Referent eingeladen. Im Anschluss an den Workshop kam eine Teilnehmerin auf mich zu und bat mich um Rat, wünschte sich ein persönliches Coaching. Ich fragte kurz nach, worum es ihr geht: „Ich weiß nicht ob ich bleiben oder gehen soll!“ Nach diesem Satz fühlte ich mich bereits handlungsfähig, obwohl ich nicht wusste, ob es sich um einen Wechsel innerhalb der Firma, einen Umzug oder vielleicht sogar um ein Beziehungsthema handelte.

Ich beschrieb zwei große Blätter mit ihren beiden Wörtern: ‚bleiben‘ und ‚gehen‘ und bat sie darum sich auf ein erstes Blatt zu stellen und einfach nachzuspüren. Nach ungefähr einer halben Minuten bat ich sie auf das andere Blatt zu treten und ebenfalls nachzuspüren. Als sie in der dritten Position stand und auf beide Blätter schaute sprudelte es aus ihr wie selbstverständlich und überzeugend heraus: „Ich bleibe!“ Wir gaben uns die Hand und gingen beide unseres Weges. Zwei Minuten Zeit waren verstrichen.

Ich habe nicht gezaubert, sondern meine Intuition gab mir den Impuls, dass sie ihr Anliegen bisher nur kognitiv reflektiert und ihrer Intuition keinen Raum gegeben hat. Erst das Wahrnehmen dieser anderen Ebene über diesen Körperzugang machte ihre Entscheidung rund.

Reflexion einer Weltreise

Ähnliches auch bei einem zweiten Beispiel aus meiner Praxis. Für eine lange Zeit begleitete ich einen Verband und lernte über mehrere Workshops hinweg eine junge Mitarbeiterin kennen. So weit so gut. Überraschend interessant wurde es für mich durch ihre geplante und durchgeführte einjährige Weltreise. Es war spürbar zu erleben, wie sie sich nach dieser Zeit verändert hatte.

Ich sprach sie darauf an und schlug ihr vor, mit ihr zusammen herauszuarbeiten, woran und wie sie sich persönlich weiterentwickelt hat. Damit ich mir ein Bild von Ihrer langen Reise machen konnte, schickte sie mir vorweg einen kompletten Ausdruck ihres Blogs: ca. 600 Seiten eng beschriebene DIN A4-Seiten! Nur einen kleinen Teil ihrer Berichte las ich mir durch. Schnell wurde mir klar, für eine Reflexion, woran sie gewachsen war, schien mir ihr Blog vollkommen ungeeignet. Warum? Es reihte sich lediglich ein Erlebnis oder Ereignis an das nächste, ohne einmal über die Bedeutung oder Konsequenzen aus dem Erlebten zu berichten.

Daher lud ich sie zu mir ein und ging mit ihr ihre Weltreise aus ihrer Innenperspektive einen Tag lang komplett durch. Es öffneten sich durch diese gänzlich andere Herangehensweise ungeahnte Räume. Subjektiv war diese zweite „Weltreise“ fast noch bedeutungsvoller als die erste Reise. Subjektiv!

In meinem Kartenheft ‚Die Weltreise – Früchte einer Reise‘ sind die Ergebnisse veröffentlicht. In elf Aspekten hat sich die Mitarbeiterin verändert. Nach einem einheitlichen Schema haben wir das aufgearbeitet und sogar als Anregung für Unternehmen übersetzt.

Entdeckung und Veränderung der Ungeduld

Hier nun das Reflexionsergebnis zum Aspekt ‚Ungeduld‘.

Verhalten vor der Reise

Sie berichtete: Pünktlichkeit war für mich eine Tugend. Zu Verabredungen kam ich immer eine gute Zeit vorher. Musste ich warten, breitete sich Unruhe in mir aus, die nicht selten in Vorwürfen gegenüber den Zuspätkommenden mündeten. Gab es von mir keine Vorwürfe, so sprach ich das Thema mindestens an.

Ähnlich war es mit Dingen, die ich unbedingt haben wollte. Geduld war ein Fremdwort für mich. Sparen war daher keine Tugend, sondern das Bedürfnis meine Wünsche schnell zu befriedigen.

Eine andere Eigenschaft von mir war, dass ich sehr stark von meinen Bedürfnissen ausging, nach meinen Wünschen vieles vorstrukturierte und mit subjektiven Bewertungen schnell bei der Hand war. Mein eigenes Erleben und wie ich meinen Alltag plante standen im Vordergrund.

Alter Leitsatz

Meine Bedürfnisse gehen vor. Innensicht vor Außensicht.

Herausforderungen während der Reise

Obwohl mir auf der Weltreise eigentlich Zeit ohne Ende zur Verfügung stand, musste ich mich mit dem Thema Ungeduld auseinandersetzen. Ob ich es wollte oder nicht, ich musste mich an das Verhalten anderer immer wieder anpassen. Selbst bei einfachen Dingen wie das Duschen war ich gezwungen, meine Geduld zu trainieren (meine Mitreisende brauchte grundsätzlich 20 Minuten länger).

Auslöser der Veränderung

Durch äußere Rahmenbedingungen musste ich mich immer wieder in Geduld üben.

Strategie der persönlichen Veränderung

Die Neugewichtung meines Wertes Geduld hat ungefähr 4 bis 5 Monate gedauert; die Stabilisierung noch einmal einige zusätzliche Monate. Es war für mich wichtig, dass ich ein ganzes Jahr mit allen besonderen Feiertagen durchlebte. Ich glaube, dass sich dadurch diese neue Qualität von Geduld nachhaltig in mir stabilisieren konnte. Wäre diese lange Zeit nicht gewesen, wäre ich wahrscheinlich nicht vom Urlaubsmodus in den Alltagsmodus gewechselt und ich wäre zu Hause wieder in das alte Verhaltensmuster zurückgefallen.

Verhalten nach der Reise

In diesem Punkt erlebe ich mich heute komplett anders. Ich kann warten! Ich beobachte mich häufig, dass ich in den Zeiten, in denen ich warten muss, über mich nachdenke und mich nicht mehr wie früher mit irgendetwas ablenke.

Wenn ich wirklich etwas brauche, kümmere ich mich weiter darum. Ich kann heute viel besser bewerten, was ich wirklich brauche und das ist viel weniger.

Ich denke häufig darüber nach, ob ich etwas wirklich benötige oder ich mir behelfen kann.

Heute geht es mir mehr um Dinge, die mir Lebensqualität geben. Meine eigenen Bedürfnisse erlebe ich mit mehr ‚Tiefe‘.

Neuer Leitsatz

Ich weiß, was mir wirklich wichtig ist.

Was kann das im übertragenen Sinn für Unternehmen oder Organisationen bedeuten?

Reflexionsfragen für Unternehmen

Bei allen wichtigen Entscheidungen kann die Frage gestellt werden: Müssen wir schnell entscheiden oder können / sollten wir uns in Geduld üben? Was regelt sich vielleicht von allein, was nicht? Welche Rahmenbedingungen fördern Geduld, welche Ungeduld?

Mögliche Vorgehensweise

Wie wäre es, ein Jahr lang im Team und für sich selbst eine Art Tagebuch über Geduld und Ungeduld zu führen. Wo war man selbst, wo das Team in der vergangenen Woche geduldig, wo ungeduldig? Und was hat sich dadurch ereignet? Hat die Geduld oder die Ungeduld oder das jeweilige Gegenteil geholfen? Wie kann sich dieses Wertepaar neu einpendeln?

Und während man sich vielleicht neu in Geduld übt, welche anderen Qualitäten entwickeln sich dadurch? In welcher Art und Weise wird das, worauf die Geduld gerichtet ist, vielleicht besser, optimiert sich?

Im nächsten TrainerJournal beschreibe ich einige neurobiologische Erkenntnisse rund um die Reflexion, um daraus methodische Konsequenzen abzuleiten.

Literaturtipp zum Nachlesen

• Kartenheft ‚Die Weltreise‘, 12,00 Euro. Zu beziehen über mail@besser-wie-gut.de 

Der Autor: Ralf Besser, Dipl.-Ing.

Prozessbegleiter in Unternehmen - auf der Suche nach Wirksamkeit: Menschen für sich und für das Unternehmen bewegen. Veröffentlichungen: „Interventionen, die etwas bewegen“ im BELTZ-Verlag, „Das Gehirn“, „Neurodidaktik“, „Lernen im Alter – wie sich das Gehirn verändert“, „Personalentwicklung im Spiegel der Hirnforschung“ „Transfer-Evaluation“ im Verlag ‚besser wie gut‘

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