Heinz Kraft Heinz Kraft, Diplom-Verwaltungswirt, Führungskräfte- und Gewalt-Deeskalationstrainer

Amok – Präventionsmöglichkeiten, Vorbereitungskonzepte und Verhalten im Ernstfall

Der Amoklauf in Winnenden am 11. März 2009 beherrscht die Medien, und neben der Trauer für die Opfer und der Anteilnahme mit den Betroffenen, die öffentlich gezeigt wird, fragen sich Fachleute und Laien, ob und wie die Tat hätte verhindert werden können. Natürlich sind auch schnell Rezepte zur Hand, wie künftig Amoktaten verhindert werden können. Im Blick: Vorbereitung auf Ernstfall und Amoklage. Sicherlich bedarf es der Aufklärung der näheren Ursachen und Umstände. In diesem Beitrag soll der Blick jedoch schwerpunktmäßig gerichtet werden auf die Vorbereitung der Schulen auf den Ernstfall und die professionelle Bewältigung einer Amoklage.

Damit will sich dieser Beitrag der anderweitig angestellten Spekulationen und politischen Wertungen enthalten und zum Thema machen, wie sich Schulen, wenn eine Amoktat schon nicht verhindert werden kann, darauf vorbereiten können, sie im Zusammenwirken mit Eltern, Schülern, Schul- und Ordnungsverwaltung, Polizei, Rettungsdienst und Betreuungsteams / Seelsorgern zu bewältigen.

Allgemeines

Die bisherigen Untersuchungen zur Persönlichkeit kennzeichnen Täter wie folgt:

  • Ist i.d.R. männlich.
  • Hat Affinität zu Waffen.
  • Beschäftigt sich mit Medien, die Themen wie Gewalt, Zerstörung, Tod, Mord oder Amoktaten beinhalten.
  • Hat eine narzisstische Persönlichkeit.
  • Hat negative Leitbilder.

 

Als Auslöser für eine solche Tat gelten

  • Psychosoziale Entwurzelung des Täters 
  • Verlust schulischer oder beruflicher Integration
  • Kränkungen, massive Angriffe auf das Selbstwertgefühl
  • Status- und Beziehungsverluste.

 

Als Tat-Phasen unterscheiden Fachleute

 

Tatvorbereitung 

  • “Brüten und Grübeln“ 
  • Zunehmende Isolation
  • erlernte Anpassungsmechanismen zerfallen
  • Soziale und psychische Desintegration
  • Fester Tatplan 
  • Der eigene Tod wird einkalkuliert

 

Beginn der Tatausführung

  • Andeutung geplanter Taten in Gesprächen, Ankündigungen im Internet auf Webseiten oder im Chat
  • Besorgen von Waffen und Munition
  • Vorbereitende Übungen: „Training der Tat“

 

Tat

  • Scheinbar wahllose Tötung von Menschen, aber auch ausgewählter Zielpersonen

 

Früherkennung: Signale wahrnehmen und deuten

Grundsätzlich ließe sich in den beiden ersten Phasen vorbeugend intervenieren, wenn die Faktoren erkannt und richtig gedeutet würden. In den meisten Fällen werden diese Zusammenhänge aber erst nach der Tat bekannt, zumal die Faktoren individuell unterschiedlich ausgeprägt sind. Umgekehrt muss davor gewarnt werden, bei Wahrnehmung solcher Symptome immer anzunehmen, es mit einem Amoktäter zu tun zu haben.

Dennoch ist Achtsamkeit das Gebot der Stunde, und entsprechende Wahrnehmungen sollten Fachleuten mitgeteilt werden, die ihrerseits nachfragen, ermitteln, bewerten und je nach Ergebnis intervenieren.

Amok-Drohung in Ennepetal

In Ennepetal hat das Zusammenwirken von Schule, Elternschaft und Polizei am 12. März 2009, will man den Medien glauben, funktioniert, weil einige Schülerinnen zivilcouragiert die Hinweise an Schule und Polizei weitergegeben haben und diese die Hinweise ernst genommen und die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet haben. (Die Medien berichteten bundesweit hierüber.)

Wirksame Prävention unmöglich

Einigkeit besteht, dass eine wirksame Amok-Prävention nicht möglich ist, dass wohl aber allgemeine Maßnahmen der Suizid- und Gewaltprävention auch auf mögliche Amokläufer wirken können.

Vorbereitung auf den möglichen Ernstfall

Gerade weil eine wirksame Prävention nicht zu gewährleisten ist, müssen Vorbereitungen für einen möglichen Ernstfall getroffen werden. Die Tat wird zwar nicht verhindert, aber die Chance, “glimpflich“ davonzukommen, steigt erheblich, denn der Verlauf einer Amoktat wird mitgeprägt von den Gesamtumständen und dem Verhalten aller Beteiligten.

Polizei

Die Polizeien in allen Bundesländern haben sich auf Amoklagen vorbereitet, indem spezielle Einsatzkonzepte entwickelt wurden, in die auch die Schulen einbezogen wurden. Zur polizeilichen Einsatzstrategie gehört, dass die Polizei sofort gegen den Amoktäter vorgeht, um seinen Tatplan zu durchkreuzen und von den potenziellen Opfern zu trennen, und nicht mehr – wie früher - auf Lagestabilisierung setzt und das Eintreffen der Spezialeinheiten abwartet. Dies Konzept hat sich sowohl beim Amoklauf in Emsdetten 2007 als auch in Wennenden bewährt.

Schulen

Die Schulen haben sich auch vorbereitet und im Rahmen der Notfallplanung organisatorische Maßnahmen getroffen (z.B. Raumausstattung, Raumkennzeichnung, Informationswege, Alarmsignal oder Alarmdurchsage, Ansprechpartner, Information der Eltern, z. B. in Elternbriefen), Objektinformationen für die Polizei und Rettungsdienste bereitgestellt und ihr Personal über zweckmäßiges Verhalten in Amok-Lagen informiert und im Idealfall in Workshops und Praxisübungen trainiert. Wie weit werden aber im Schulkollegium (einschließlich Verwaltungspersonal) Szenarien entwickelt und lösungsorientiert bearbeitet?

Trotz Workshops und Praxisübungen: Kritische Faktoren werden nicht erkannt

In unserer Beratungspraxis haben wir erfahren, dass das Schulpersonal (Schulleitung, Lehrerinnen und Lehrer, Verwaltungspersonal) zwar bestimmte zweckmäßige Verhaltensmuster „kennt“ und sich im Ernstfall an einer handlichen „Checkliste“ orientieren kann, kritische Faktoren aber nicht erkannt werden. Hier nur drei Beispiele:

Führungsverantwortung

Wer übernimmt in der Schule im Falle des Amokalarms die Führungsverantwortung? Gibt es einen Krisenstab mit zugewiesenen Aufgaben? Wer informiert wen? Gibt es einen festen Ansprechpartner für die Polizei? Ist Medienbetreuung organisiert?

Verhalten im Klassenraum

In den Handlungsempfehlungen heißt es, die Räume zu verschließen und mit Klassenmobiliar zu verbarrikadieren. Aber wie sieht das denn konkret aus? Wie lange dauert es, bis die Barrikaden errichtet sind? Wie baut man sie so auf, dass sie auch stärkerem Druck und Zug (Klassentüren öffnen nach außen, zum Flur!) widerstehen. Wurde bedacht, wo sich die Akteure beim „Verschanzen“ zweckmäßig aufhalten? Wo die anderen, wenn es dem Täter gelingt, die Tür eine Spalt zu öffnen?

Informationstext

Und vorher: Mit welchem Text werden die Schülerinnen und Schüler von ihrer Lehrkraft, die ja ihrerseits überrascht und höchstwahrscheinlich aufgeregt ist, informiert, dass gerade eine Amok-Lage läuft, ohne sie in Panik zu versetzen? Gibt es vorbereitete Texte?

Dilemmata

Von Klein auf sind wir darauf programmiert, Anderen in Notsituationen zu helfen. Hilfeleistung bei Unglücksfällen ist sogar gesetzlich normiert. Wie reagiert eine Lehrerin, wenn sie allein oder mit weiteren Schülerinnen hinter einem Pfeiler notdürftigen Schutz vor dem Amoktäter gefunden hat und einer der Schüler fünf Meter von ihr entfernt im Einwirkungsbereich des Täters angeschossen auf dem Boden liegt? Erste Hilfe leisten, um den Preis selbst angeschossen oder erschossen zu werden, oder in der Deckung bleiben und die anderen zu schützen?

Was passiert, wenn die Tür zur Klasse verschlossen und „verriegelt und verrammelt“ ist, der Aufenthaltsort des Täters nicht feststeht, und jemand Einlass begehrt? Tür öffnen, trotz des Risikos, dass der Täter jetzt freien Zugang in die Klasse hat?

Diese Vorüberlegungen,  Denken in Szenarien und Praxisübungen tragen dazu bei, dass eine Amoklage auch schulseits professionell bewältigt werden kann. Bestimmte kritische Situationen müssen hierzu vorgedacht und lösungsorientiert diskutiert werden. Voraussetzung hierzu ist, dass auch die erforderlichen zeitlichen, personellen und vor allem finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden.

Fazit

Es bedarf nicht nur organisatorischer Vorbereitungen, sondern wegen der Besonderheiten von Amoklagen, im Vergleich zu anderen Unglücken und Unfällen, auch der taktischen und mentalen Vorbereitung und Erprobung von Lösungskonzepten in Praxisübungen.

 


 Mehr zur Person des Autors finden Sie hier: Heinz Kraft

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