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Neuromythen & Hirnlegenden (4)

Wie Sie mit Ihrem Hirn joggen gehen

Dr. Henning Beck

In der Hirnforschung will man nicht nur erklären, wie ein Gehirn funktioniert, man will es auch gleich in seiner Leistung verbessern. Kein Wunder, dass daher in der Populärwissenschaft auch kein Mangel an möglichen Angeboten herrscht. Damit es besser klingt, nennt man ein solches Hirnoptimierungsprogramm gleich „Hirnjogging“ oder „Gehirntraining“. Denn trainierbar soll es ja sein, das Gehirn – wie ein Muskel, der stärker wird, wenn man ihn häufig nutzt, und erschlafft, wenn er nicht ausreichend bewegt wird. Deswegen: Auf die Neurone, fertig, los! Wer sein Hirn fleißig trainiert, wird es wohl auch in seiner Leistung stärken – oder?

Das optimierende Gehirn

Eins vorneweg: Unsere Organe verbessern sich ständig und stellen sich auf äußere Reize ein. Knochen werden stabiler oder krümmen sich, wenn sie äußeren Kräften ausgesetzt sind. Muskeln werden dicker und besser durchblutet, wenn sie oft benutzt werden. Und Gehirne? Werden Gehirne auch größer und dicker, wenn man sie oft nutzt?

Tatsächlich ist das Gehirn einem Muskel nicht unähnlich, denn genauso wie ein Muskel verliert das Gehirn sein Leistungsvermögen, wenn es lange Zeit nicht genutzt wird (Beispiele dafür finden sich häufig genug). Doch übertreiben sollte man die Gehirn-Muskel-Analogie nicht. Denn im Vergleich zu einem recht dummen Muskelgewebe kommt es beim Gehirn nicht nur darauf an, dass es an Volumen zunimmt, wenn es mehr leisten soll. Entscheidend ist vielmehr, dass das Gehirn in seiner Ganzheit gefordert wird, damit es sich an eine bestimmte Aufgabe anpassen kann. Einen Muskel kann man trainieren, indem man ihn separat von den anderen Muskeln aktiviert. Im Gehirn ist das anders, denn es optimiert sich vielmehr ganz nach der jeweiligen Anforderung – und das kann auch bedeuten, dass es Zellen und Verbindungen gezielt abbaut. Das Gehirn zu trainieren ist also etwas kniffliger als bei einem Muskel.

Joggende Zellen

Die meisten Hirnjogging-Programme auf dem Markt funktionieren nach einem einfachen Prinzip: Man bekommt eine kognitive Aufgabe gestellt (muss beispielsweise ein Labyrinth-Rätsel lösen) und misst im Laufe der Zeit, wie sehr man sich dabei verbessert. Doch leider funktioniert es nicht so einfach, das Gehirn zu trainieren, denn man konzentriert sich bei solchen Hirnjogging-Aufgaben immer nur auf kleine Teilgebiete unserer geistigen Funktion. Das reicht jedoch bei Weitem nicht aus, um das Gehirn so großflächig zu aktivieren, dass es anschließend auch „besser denken“ kann. Denn der Leistungstransfer von einem Hirnjogging-Training zur allgemeinen Hirnfitness (beispielsweise der Intelligenz) gelingt nicht so einfach.

Ein Beispiel macht diese Problematik klar: Stellen Sie sich vor, Sie wollen im sportlichen Sinne trainieren und Ihre Laufleistung verbessern (kein Hirnjogging, sondern „echtes Jogging“ also). Eine Möglichkeit dazu wäre, unter standardisierten Bedingungen (beispielsweise auf einem Laufband) zu joggen. So ist man unabhängig von äußeren Witterungsbedingungen, kann sehr präzise sein Training steuern und den Fortschritt messen. Mit Sicherheit werden Sie nach einiger Zeit auch besser auf dem Laufband joggen können. Doch wenn Sie nun plötzlich bei einem Geländelauf durch matschigen Morast laufen müssen, wird Ihr Körper unerwartet belastet und leistet nicht das, was er eigentlich trainiert hat.

In der Wissenschaft spricht man vom fernen Transfereffekt, der bei solchem Training ausbleibt. Im konkreten Fall trainieren Sie das Laufband-Laufen, mehr nicht. In einem nahen Transfereffekt können Sie anschließend vielleicht tatsächlich besser Langstreckenlaufen, doch Sie sind nicht gleichzeitig ein besserer Querfeldein-, 400 Meter- oder Hürdenläufer geworden.

Ganz ähnlich verhält es sich auch beim Hirnjogging: Sie trainieren Hirnjogging, mehr nicht. Anschließend werden Sie die konkrete Aufgabe des Hirnjogging-Programms sicherlich besser lösen können. Das Gehirn ist schließlich nicht dumm, sondern passt seine Netzwerke an, um die Aufgabe besser zu bearbeiten. Solche nahen Transfereffekte kann man auch beim Gehirnjogging tatsächlich messen. So ist es durchaus möglich, seine Reaktionsfähigkeit durch häufiges Trainieren in Reaktionsspielen zu verbessern. Doch einen fernen Transfereffekt, dass sich nämlich unsere allgemeine geistige Leistungsfähigkeit durch Hirnjogging verbessert, hat man auch in großangelegten Studien nie messen können. Denn zum einen ist die Intelligenzleistung eines Menschen nach der Pubertät nicht mehr trainierbar, zum anderen muss ein Gehirn zur Verbesserung seiner kognitiven Leistungen ausreichend stimuliert werden – hieran scheitert ein klassisches Hirnjogging üblicherweise.

Trainieren Sie richtig

Hirnjogging-Aufgaben sind in der Regel so konkret, dass Sie Ihr Gehirn gar nicht großflächig genug aktivieren können, um eine nachhaltige Verbesserung der Denkleistung zu erzielen. Ein paar Bilder zu sortieren oder Sudoku-Rätsel zu lösen – das kriegt das Gehirn auch auf Sparflamme hin. Die spannenden Fähigkeiten entwickelt es erst, wenn sich verschiedene Hirnareale in ihrer Aktivität weitläufig abstimmen müssen. Das klingt kompliziert, ist aber viel einfacher zu verwirklichen als ein langfristiges Hirnjoggings-Programm durchzuziehen. Denn für echtes Hirntraining brauchen Sie nur Bewegung, Spaß und andere Menschen.

Wenn Sie wirklich mit Ihrem Gehirn joggen gehen wollen, gehen Sie joggen, machen Sie Sport, bewegen Sie sich! Nicht nur, dass ein erhöhter Stoffwechsel die Durchblutung und energetische Versorgung des Gehirns verbessert, Sport fördert auch langfristig die Denkleistung. Ob es an freigesetzten Wachstumsfaktoren oder direkter neuronaler Stimulation der Nervenzellen liegt, wird noch erforscht. Doch die Hirnaktivität sportlicher Menschen ist üblicherweise besser als die unsportlicher. Diese Erkenntnis ist nicht neu: „Mens sana in corpore sano“ (zu Deutsch: Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper), wussten schon die Römer vor 2000 Jahren. Um welche körperliche Aktivität es sich dabei genau handelt, ist erst einmal egal. Hauptsache, man hat Spaß.

Denn genauso wichtig wie die Bewegung ist die Freude am Tun. Hobbies, Freizeitaktivitäten, Dinge unternehmen, die einem gute Laune bereiten – das ist der wichtige Antrieb für unser Gehirn. Wenn Ihnen Hirnjogging-Rätsel Spaß machen, dann lösen Sie diese weiterhin; wenn nicht, hören Sie auf! Wichtig ist, dass Sie sooft das tun, was Sie wirklich wollen, denn dann sind Sie maximal motiviert dabei. Interessanterweise sind die Hirnregionen, die an der Empfindung von Spaß beteiligt sind, auch gleichzeitig für die Ausbildung unserer Motivation mitverantwortlich und wirken so auf die Aktivität vieler weiterer Hirnregionen mit ein. Durch gute Laune können Sie auf diese Weise ihr Gehirn besonders intensiv aktivieren. So zeigen Studien, dass das Gehirn fröhlich lebender Menschen langsamer altert und länger fit bleibt. Der Schlüssel zur Hirngesundheit liegt im Lachen.

Das effektivste Hirntraining ist der Austausch mit anderen Menschen

Das effektivste Hirntraining ist allerdings immer noch der Austausch mit anderen Menschen. Kommunizieren, am besten persönlich mit anderen sprechen, aktiviert das Gehirn in seiner Gänze. Nicht nur, dass es gesprochene Wörter erkennen und neue zusammensetzen muss, es wird gleichzeitig zum Perspektivenwechsel ermuntert, man versetzt sich in die Lage von anderen Personen hinein – die höchste Denkleistung, zu der ein menschliches Gehirn überhaupt in der Lage ist. Wenn Sie oft unter Leute gehen, sich oft unterhalten (und unterhalten werden), intensiv kommunizieren (am besten noch in anderen Sprachen), trainieren Sie Ihr Gehirn mehr als in jedem Hirnjogging-Programm. Und mehr Spaß macht es obendrein.

Literatur-Empfehlung

Henning Beck: 
Hirnrissig.
Die 20,5 größten Neuromythen – und wie unser Gehirn wirklich tickt
CARL HANSER Verlag, 2014
272 S., 16,90 Euro

Der Autor: Dr. Henning Beck

Jg. 1983, ist Biochemiker und promovierter Neurowissenschaftler der Graduate School of Cellular & Molecular Neuroscience in Tübingen. 2013 arbeitete er an der University of California in Berkeley und entwickelte für Unternehmen in der San Francisco Bay Area moderne Innovations- und Marketingstrategien. Er ist Autor mehrerer Bücher und hält Vorträge und Workshops zu Themen wie Hirnforschung, Kreativität und Innovation. Mit seiner ungewöhnlichen Vortragsidee wurde Henning Beck mehrfacher Science Slam Gewinner und Deutscher Science Slam Meister 2012. Henning Beck lebt in Frankfurt.

beck@henning-beck.com 
www.henning-beck.com