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Bildnerische Methoden (4)

Das Körperbild im Coaching

Sabine Mertens

Der überwiegende Teil unserer Gehirnaktivitäten läuft unbewusst ab. Dabei werden ohne Unterlass körperliche, emotionale und psychische Prozesse reguliert. Körper, Geist und Seele sind untrennbar miteinander verwoben. Deshalb kommt dem Körperbild in meinen Coachingprozessen eine besondere Bedeutung zu, denn die vielgestaltigen Vorgänge zwischen Psyche und Soma werden als Muster im Körperschema sichtbar. Diese Muster zu entschlüsseln kann helfen, erhöhtes Stresserleben, Konflikte und Blockaden aufzulösen und brachliegende Kraftquellen bzw. Potentiale wieder zu erschließen.

Unser Körper schickt ständig Botschaften an das Gehirn. Die meisten bleiben unbewusst, aber durch unsere Empfindungen können derlei Signale auch bewusst werden. Körperliches Befinden, Empfindungen und Emotionen beeinflussen sich gegenseitig. Angenehme Empfindungen befördern unser Wohlbefinden und inneres Gleichgewicht, während unangenehme Sinneseindrücke unsere Gelassenheit hochgradig stören können. Unbewältigte negative Affekte oder traumatische Erfahrungen können sich im Körper manifestieren, z.B. als Schmerz. Diese Zusammenhänge helfen mir im Coaching, brachliegende Ressourcen zu finden und schmerzhafte Erfahrungen zu integrieren.

Somatische Marker und emotionale Selbstregulation

In Abb. 1 markieren die farbigen Schraffuren zwei langjährige psychosomatische Konstellationen des Zeichners.

sabine_mertens_161207_bild1.jpgAbb. 1: Körperwahrnehmung, m, 42 Jahre

Er hat in Form von Schwingkritzeln unangenehme Körperwahrnehmungen zu Papier gebracht, die zu empfinden bei ihm Stress auslöst, verbunden mit diffusen Ängsten: Er kann sich „auf nichts konzentrieren“ und hat „Angst“, sich „aufs Ohr zu legen“. Der horizontale rote Kritzel repräsentiert einen Rückenschmerz, der vertikale kennzeichnet seine Taubheit auf dem rechten Ohr. Einmal ins Bild gesetzt, kann der Zeichner nun einen distanzierten Blick auf seine eigene psychosomatische Verfasstheit werfen. Zunächst kann er zwischen den körperlichen Ursachen der Schmerzen (Sportunfall, Ohrentzündung) und den sie begleitenden Gefühlen bzw. erstarrten emotionalen Deutungen differenzieren. In der folgenden Selbstreflexion kann er die Reize neu interpretieren und ungewohnte Schlüsse ziehen. Sich „aufs Ohr zu legen“ muss er nicht mehr ängstlich meiden. Er kann es jetzt nutzen, um nach innen zu horchen und sich regelmäßig die dringend benötigte Tiefenentspannung zu gönnen.

Der Körper als Wohlfühl-Ressource

Der Körper speichert glücklicherweise nicht nur traumatische, sondern auch lustvolle frühe Grundmotive, und so lassen sich die Wohlfühlressourcen des Körpers wieder erschließen, indem wir sie sichtbar machen. Abb. 2 ist ein Resonanzbild zu „einem guten inneren Zustand“ nach einer längeren Phase depressiver Verstimmtheit.

Dynamisches Potential im Körperbild

Das Bild zeigt eine Faust mit dem Daumen nach oben. Mit diesem körpersprachlichen Signal spricht die Zeichnerin sich selbst Mut zu und signalisiert ihrer Umwelt gleichsam, dass mit ihr wieder zu rechnen ist. Um sie in den vollen Genuss der geballten Kraft zu bringen, die im aufgerichteten Daumen steckt, schlage ich ihr vor, die Hand auf einer Papierrolle weiter zu malen.

sabine_mertens_161207_bild2.jpgAbb. 2: Guter innerer Zustand, w, 38 Jahre

Nach einem kurzen Einfühlen in die positive Energie des Daumens kommt nun der gesamte Körper zum Vorschein und die Zeichnerin entdeckt ein verschüttetes positives Grundmotiv wieder: Bewegung!

Auf der körperlichen Ebene kann ich während des Malvorgangs beobachten, wie Kreislauf, Atmung und Muskelspannung der Malerin in Gang kommen. Die psychische Wirkung ist ebenfalls deutlich spürbar; die Zeichnerin ist hochmotiviert bei der Sache.


sabine_mertens_161207_bild3.jpg Abb. 3: Das ganze Bild signalisiert Bewegung, w, 38 Jahre

Sowohl der Malvorgang als auch das Betrachten des Ergebnisses steigern ihre wiedergewonnene Lebensfreude noch. Sie fühlt sich bereichert, erweitert. Erstaunt ist sie dennoch, als ihr die so lange schmerzlich vermisste Lebensenergie nun so deutlich und beinahe lebensgroß vor Augen steht. Der Malvorgang hat eine positive Referenzerfahrung mit den dazugehörigen affirmativen Gefühlen aktiviert. Das Körperbild ermöglicht ihr nun, an die verschüttete Ressource (Freude an Bewegung) anzuknüpfen. Die neue affektive Grundgestimmtheit wirkt sich wiederum positiv auf ihr Denken und Verhalten aus.

Emotionen treiben Erkenntnisse voran, Erkenntnisse strukturieren Emotionen. Mit unseren Körpern erzeugen und speichern wir fortwährend erfahrungsbasierte Fühl-, Denk- und Verhaltensprogramme, deren Muster und Zusammenhänge in Körperbildern besonders deutlich zutage treten. Die Bearbeitung solcher Bilder befreit selbst langfristig gebundene emotionale Energie und stellt sie wieder für die Alltagsbewältigung zur Verfügung. Emotionen sind eine „Wechselwährung“ von Bildern. Es ist von Vorteil für unser Denken und Handeln, in dieser Währung „flüssig“ zu sein.

Literaturtipps

  • Wie Zeichnen im Coaching neue Perspektiven eröffnet, Sabine Mertens, Beltz 2014
  • Topographie des Unbewussten, Stanislav Grof, Klett-Cotta, 2015
  • Der Spinozaeffekt: Wie Gefühle unser Leben bestimmen, Antonio R. Damasio, List, 2005
  • Affektlogik, Luc Ciompi, 1998

Die Autorin: Sabine Mertens

ist Kunsttherapeutin und Psychotherapeutin HPG in eigener Praxis in Hamburg. Ihr Schwerpunkt in Diagnostik, Coaching, Training und Supervision ist die systemische Bearbeitung von Klientenzeichnungen. Ihre Leidenschaft ist emotionales Selbstmanagement und die VerFührung ihrer Mitmenschen zur Selbstführung.

Kontakt:
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