Dr. Margret Richter
Projektmanagement
Entscheiden unter Ungewissheit
Dr. Margret Richter
Projektmanager entscheiden und lösen Probleme oft aufgrund von Erfahrungswissen. Dadurch kommt es bei den immer komplexer werdenden Projekten zu immer mehr kontraproduktiven Neben-, Wechsel- und Fernwirkungen. Diese können minimiert werden, wenn die Zusammenhänge und Abhängigkeiten der erfolgskritischen Faktoren bekannt sind. Dafür muss das systemische Denken geschult werden.
Je größer die Komplexität der Welt, desto mehr Wirkungen haben unsere Handlungen. Dabei wirken die verschiedenen Wirkungen mit unterschiedlichen Laufzeiten durch die vernetzten Systeme verzögert auf uns zurück. Es ist wie in den Bergen, wenn wir umgeben von Felswänden, einen Schrei ausstoßen. Er erzeugt Echos, die mit unterschiedlichen Verzögerungen auf uns zurückgeworfen werden. Viele Menschen können mit Zeitstrukturen, besonders mit Verzögerungen, nicht gut umgehen. Das führt dazu, dass immer mehr Unternehmen zusammenbrechen. Die Ursachen für das in der Realität immer wieder auftretende Missmanagement von Systemen liegt in einem Unverständnis der systeminternen Abläufe und Zusammenhänge wie Wachstumsvorgängen, Verzögerungen, Rückkopplungen, Fern-, Wechsel- und Nebenwirkungen und falschen mentalen Modellen dazu.
Was immer auch ein Mensch entscheidet, tut oder lässt, es hat immer Auswirkungen auf die Umwelt, manchmal auch auf eine sehr ferne. Umgekehrt werden unsere Entscheidungen und Handlungen von Faktoren aus der näheren oder fernen Umwelt beeinflusst. Entscheidungen und Handlungen können in komplexen Projekten Neben-, Wechsel- und Fernwirkungen haben, die dem Projektziel zuwiderlaufen. Auf diese Weise bringen sie Konflikte in das Projekt.
Entscheidungsheuristiken bewusst machen
Die Evolution hat zahlreiche Heuristiken (Methoden zur Bewältigung von Aufgaben) entwickelt, mit denen wir Situationen schnell einschätzen können. Das sind über mehrere tausend Jahre konditionierte Wahrnehmungs-, Entscheidungs- und Handlungsmuster, um in der damaligen Welt zu überleben. In den letzten hundert Jahren hat sich die Komplexität unserer Welt und auch der Projekte jedoch vervielfacht, so dass uns die Heuristiken oft in die Irre leiten.
Einige bekannte Entscheidungsheuristiken, die in ungewissen Situationen und damit auch in Projekten, immer wieder angewendet werden, sollen hier vorgestellt werden.
Der Auftraggeber ist der Meinung, dass ein bestimmtes Arbeitspaket in acht Wochen zu erledigen sei. Selbst wenn der Projektleiter die doppelte Zeit geschätzt hatte, wird er dem Auftraggeber keinen Zeitraum nennen, der stark von den als Anker geworfenen acht Wochen abweicht. Anchoring und Adjustement wird diese Heuristik genannt.
Die Verfügbarkeitsheuristik spielt vor allem im herkömmlichen Projektrisikomanagement eine zentrale Rolle. Wenn der Projektsteuerungsausschuss nach den Projektrisiken fragt, werden die Risiken aufgezählt, die die Projektmitarbeiter aus früheren Projekten kennen. Sie nennen auch Verhinderungs- und Abwendungsstrategien nach der Verfügbarkeitsheuristik, ohne zu bemerken, dass sie die Besonderheiten des gegenwärtigen Projekts mit seinen Abhängigkeiten nicht berücksichtigt haben.
Eine weitere Heuristik ist Frequency Gambling (Häufigkeitsverfahren). Im Projektmanagement wird diejenige Maßnahme als nächstes ergriffen, die in den bisherigen und ähnlichen Situationen am erfolgreichsten war. Diese Strategie liegt allen Zertifizierungen von Best Practices zugrunde. Das muss nicht notwendigerweise falsch sein. Doch in neuen, unbekannten Situationen, die Projekte meist darstellen, können sie schwerwiegende Konsequenzen haben, weil neuartige Systemeigenschaften nicht berücksichtigt werden.
Eigentlich sollte ein Projektmanager in komplexen und damit turbulenten und unsicheren Situationen laufend rational analysieren. Das tut er jedoch nicht. Dietrich Dörner hat herausgefunden, dass die Menschen in turbulenten und unsicheren Situationen hauptsächlich zwei Verhaltensweisen zeigen, die den Projekterfolg negativ beeinflussen. Den ersten nennt er „thematisches Vagabundieren“. Er vagabundiert von einer Hiobsbotschaft zur nächsten und betreibt immer Schadensbegrenzung beim aktuellsten Problem. Den zweiten nennt er „reduktive Hypothesenbildung“. Alle Phänomene werden einer einzigen Ursache zugeschrieben. Dadurch wird mit einem Schlag die Unsicherheit reduziert und das Gefühl verstärkt, dass man versteht, was man tut. Dieses Verhalten verhindert, dass Unbestimmtheit Angst erzeugt.
Systemverständnis gewinnen
Mitarbeiter greifen begierig Rezepte und Anweisungen zur angeblichen Erleichterung der Projektarbeit auf. Klare Anweisungen beseitigen Unsicherheit. Sie erhöhen jedoch nicht den Projekterfolg. Patentrezepte gibt es dafür nicht. Der Projekterfolg wird jedoch erhöht, wenn wir unser Denken an die hohe Komplexität unserer Welt und damit auch an die unserer komplexen Projekte anpassen. Wir müssen lernen, achtsam Zusammenhänge und Abhängigkeiten zu beobachten und in Modellen zu denken. Wir müssen lernen, die erfolgskritischen Faktoren zu definieren und die relevanten Beziehungen zwischen ihnen zu erkennen und zu verstehen. Wir müssen die Systemgesetze kennenlernen und verinnerlichen, um Systemverständnis gewinnen zu können. Nur wenn wir darauf basierend Wachstumsvorgänge, Verzögerungen, Rückkopplungen, Neben-, Wechsel- und Fernwirkungen erkannt haben, können unsere steuernden Eingriffe die gewünschten Ergebnisse erzielen. Das spart Kosten, Zeit und Ärger in der Projektarbeit und im Alltag.
Wir arbeiten in Strukturen von gestern mit Methoden von heute an Problemen von morgen vorwiegend mit Menschen, die Strukturen von gestern gebaut haben und das Morgen nicht mehr erleben werden.
Knut Bleicher, Prof. em. für BWL, St. Gallen
Literatur:
- Addor, Peter: Projektdynamik, Frauenfeld 2010
- Dörner, Dietrich: Strategisches Denken in komplexen Situationen, Reinbek 2003
Zur Autorin
Dr. rer. Nat. Margret Richter studierte in Marburg Pharmazie. Sie hat mehrjährige Erfahrung in der Pharmaindustrie und als selbständige Apothekerin. Dr. Richter hat sich spezialisiert auf das Management komplexer Probleme und arbeitet seit 20 Jahren auf den Gebieten Vernetztes Denken, Biokybernetik, Systemtheorien und Evaluation. Als Inhaberin der SOLIDIA Managementberatung hat sie ihre Schwerpunkte in den Gebieten Strategie, Veränderung und Evaluation.
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